Organstreitverfahren des Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages, Ulf Thiele, gegen die Niedersächsische Landesregierung wegen Verletzung des Abgeordnetenrechts aus Art. 24 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung

Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei erhalten Sie das Redemanuskript des Abgeordneten Ulf Thiele und die heute Morgen beim Pressestatement verteilten Anlagen noch einmal auf diesem Wege:

-Es gilt das gesprochene Wort-

  • Sachverhalt zum Organstreitverfahren

Am gestrigen Donnerstag, den 12. Oktober, habe ich als Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages ein Organstreitverfahren vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof gegen die Landesregierung auf den Weg gebracht, um dort feststellen zu lassen, dass die Landesregierung mein Recht aus Artikel 24, Absatz 1 der Niedersächsischen Verfassung verletzt hat. Der Antrag sollte spätestens morgen oder am Anfang der kommenden Woche beim Staatsgerichtshof eingehen.

Die Landesregierung hat meine parlamentarische Anfrage gemäß § 46 Abs. 1 der GO des Landtages mit dem Titel „Grundsteuerreform Niedersachsen: In welchem Umfang genügt das Land seiner Erklärungspflicht?“ (Drs. 19/1501) vom 30. Mai 2023 nicht nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig beantwortet.

  • Hintergrund und zeitlicher Ablauf der Unterrichtungswünsche und parlamentarischen Anfrage

Ausgangspunkt war vor dem Hintergrund des Ablaufs der verlängerten Abgabefrist im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform u.a. die Berichterstattung der HAZ vom 13. Januar 2023 über den offenbar fehlenden Überblick des Landes hinsichtlich der Erfüllung eigener Abgabepflichten in Bezug auf Grundsteuererklärungen für landeseigene Grundstücke. Am 1. Februar erklärte das Finanzministerium, die Abgabenquote der Grundsteuerpflichtigen liege bei 78 Prozent. Unseren Vorschlag auf Fristverlängerung wies der Finanzminister zurück.

Am 8. Februar erklärte das Landesamt für Steuern dann, man werde für ausstehende Grundsteuererklärungen einmalig schriftlich an die Abgabe der Grundsteuererklärung erinnern. „Nach dieser Erinnerung stehen Verspätungszuschläge als Möglichkeiten im Raum.“ Für die Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 17. Mai 2023 beantragte die CDU-Landtagsfraktion eine Unterrichtung durch die Landesregierung über den Stand der Erhebung der Grundsteuererklärungen in Niedersachsen und über den Umgang der Finanzverwaltung mit säumigen Grundsteuerbürgern. In dieser Sitzung fragte ich u.a. auch, wie viele Grundsteuererklärungen das Land Niedersachsen für seine grundsteuerpflichtigen Grundstücke zum damaligen Zeitpunkt abgegeben hatte.

Mit Datum vom 19. Mai erklärte die Landesregierung zu dieser Frage schriftlich, es sei nicht ohne erheblichen, derzeit auch nicht zu leistenden Auswertungsaufwand möglich, festzustellen, wie viele Grundsteuererklärungen das Land Niedersachsen für seine grundsteuerpflichtigen Grundstücke zum damaligen Zeitpunkt abgegeben hatte. Im Klartext: Man wusste es nicht, und man wollte die Frage auch nicht beantworten. Daraufhin verfasste ich eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT, um diese, aus meiner Sicht mit Blick auf die Erfüllung der Abgabepflicht des Landes und mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Landes und seiner Bürger wichtige Frage zu klären. Die Anfrage ging am 30. Mai 2023 bei der Landtagsverwaltung ein und wurde als Drs. 19/1501 veröffentlicht.

Am 12. Juni beantragte die CDU-Landtagsfraktion eine weitere Unterrichtung im Ausschuss für Haushalt und Finanzen „über den Stand der Grundsteuererklärungen sowie der Erinnerungsschreiben potenziell säumiger Steuerpflichtiger“. Diese erfolgte am 28. Juni 2023. In der Diskussion zu dieser Unterrichtung fragte ich, wie viele Erinnerungsschreiben die Finanzverwaltung an das Land Niedersachsen und seine Behörden verschickt hatte. Die Landesregierung beantwortete dies nur mit Hinweis auf die kurz bevorstehende schriftliche Beantwortung meiner Kleinen Anfrage.

Am 3. Juli beantwortete das Niedersächsische Finanzministerium die Kleine Anfrage in diesem Punkt dann im Wesentlichen damit, dass weder ein landesweiter Überblick über den Stand der erklärungspflichtigen Grundstücke noch der bislang abgegebenen Grundstückserklärungen bestehe. Vor dem Hintergrund der dezentralen Strukturen der Landesverwaltung gebe es für die niedersächsische Steuerverwaltung keine Veranlassung, den Abgabestand der erklärungspflichtigen Grundstücke des Landes auszuwerten. Mit Schreiben vom 5. Juli an die Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium, Sabine Tegtmeyer-Dette, beschwerte ich mich über die ausweichende und unvollständige Beantwortung der parlamentarischen Anfrage und gab Gelegenheit zur vollständigen Beantwortung. In dem Schreiben behielt ich mir bereits vor, meine verfassungsmäßigen Rechte vor dem Staatsgerichtshof geltend zu machen. Der Chef der Staatskanzlei, Dr. Jörg Mielke, erhielt eine Kopie des Schreibens. Mit Schreiben vom 1. August antwortete Frau Staatssekretärin Tegtmeyer-Dette – brieflich und nicht in Form einer ergänzenden parlamentarischen Antwort – wörtlich: „Für eine zentrale statistische Auswertung sieht die Steuerverwaltung, wie die Landesregierung bereits in ihrer Antwort ausgeführt hat, bisher keine Veranlassung. […] die nicht vorhandene Filterungsmöglichkeit der Steuerverwaltung hat die Landesregierung beschrieben, in dem sie den tatsächlichen Aufbau der Daten nach dem Aktenzeichen – ohne Eigentümer Bezug – erläutert hat.

Selbstverständlich bestünde darüber hinaus die Möglichkeit, detaillierte Daten zum Stand gegebenenfalls erforderlicher Erklärungen von allen Ressorts und Landesdienststellen abzufragen. Daraus resultierte ein erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand, dem verwaltungsseitig kein Bedarf gegenübersteht. Nach hiesiger Einschätzung ist ein deutlich höherer Erkenntnisgewinn für die grundsätzlichen Beurteilung des Verfahrensstandes im Bereich der Landesliegenschaften dadurch voraussichtlich nicht zu erwarten.“ Andererseits gab Frau Staatssekretärin Tegtmeyer-Dette jedoch zu, dass noch zum 1. August – also fünf Monate nach Fristablauf – Grundsteuererklärungen des Landesamtes für Bau und Liegenschaften (NLBL), der Ämter für regionale Landesentwicklung (ÄrL), des Nds. Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz (NLWKN) und der Domänen- und Moorverwaltung in teils erheblichem Umfang ausstünden. Trotz dieser alarmierenden Erkenntnis, hatte MF aber kein Interesse an einem Gesamtüberblick und verweigerte zugleich eine vollständige Beantwortung meiner Anfrage.

Dazu war sie, auch nach einschlägiger bisheriger Rechtsprechung des Nds. Staatsgerichtshofes (17.10.2012, 25.11.1997, 29.1.2016, 17.1.2008), nach unserer Auffassung verpflichtet. Durch ihre dauerhafte Weigerung, einen Gesamtüberblick über säumige Grundsteuererklärungen des Landes zu erstellen und dem Parlament mitzuteilen, hat sie mir als Abgeordneten die Möglichkeit genommen, die Erfüllung der Rechtsverpflichtungen durch das Land bei der Abgabe der Grundsteuererklärungen zu kontrollieren. Zudem war es uns nicht möglich, in der parlamentarischen Befassung Vorschläge zu erarbeiten, wie der Pflichtverstoß von Landesbehörden schnellstmöglich beendet werden kann. Dieses Verhalten der Landesregierung war ein grober Bruch meiner verfassungsmäßig verbrieften Abgeordnetenrechte. Und dies in einer politisch und rechtlich sehr sensiblen Fragestellung.

  • Die Landesregierung hat ihre Erklärungspflicht zur Grundsteuerreform nicht erfüllt.

Meine Fraktion und ich selbst haben vier ernsthafte Versuche unternommen, um die Landesregierung dazu zu bewegen, zu klären, in welchem Umfang sie selbst und nachgeordnete Behörden die Pflicht zur Abgabe von Grundsteuererklärungen verletzen. Die Landesregierung hat zugegeben, dass es zu erheblichen Verletzungen der Pflicht zur fristgerechten Abgabe der Grundsteuererklärungen gekommen ist. Sie hat nach eigenen Angaben dennoch selbst kein Interesse daran, diese Pflichtverletzungen zu erfassen, zu klären und abzustellen. Gleichzeitig droht sie den Grundsteuerbürgerinnen und Grundsteuerbürgern jedoch mit Säumniszuschlägen und in letzter Konsequenz sogar mit ersatzweiser Schätzung der Grundsteuerdaten. Sie misst ihre eigenen Behörden und externe Steuerbürger also offenkundig mit zweierlei Maß.

Dass die Landesregierung selbst kein Interesse daran hat, die Pflichtverletzung der eigenen Behör-den aufzuarbeiten und abzustellen, ist für sich genommen schon skandalös.

Dass die Regierung Weil aber dem Parlament und mir als Abgeordneten verweigert, unsere Kontrollrechte ihr gegenüber auszuüben und unsere Auskunfts- und Fragerechte mutwillig und in eklatanter Weise missachtet, ist ein klarer und erheblicher Verstoß gegen die Landesverfassung.

Dass lasse ich mir nicht gefallen und strenge daher dieses Organstreitverfahren an. Diese Landesregierung muss – gerade in diesen Zeiten – verstehen, dass sie die verfassungsmäßigen Rechte der Opposition und ihrer Abgeordneten zu wahren hat. Sie darf nicht in dieser überheblichen Art und Weise unsere von der Landesverfassung verbrieften Rechte mit Füßen treten. Und sie muss Ihrer Pflicht nachkommen, Recht und Gesetz auch den eigenen Behörden gegenüber konsequent durchzusetzen. Es steht zu befürchten, dass das Land Niedersachsen bis heute nicht alle Grundsteuererklärungen abgegeben hat. Und die Landesregierung verschließt davor die Augen. Das geht so nicht!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!PM 166 Thiele Anlage 1 Organstreitverfahren Thiele Vs LReg Wg GrundsteuerPM 166 Thiele Anlage 2 Organstreitverfahren Thiele Vs LReg Wg Grundsteuer

veröffentlicht am 13.10.2023