Erwiderung des Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, Björn Thümler, auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Weil: „Auf dem Weg zu einer rationalen Endlagersuche – Castor- und Erkundungsstopp für Gorleben“ — Es gilt das gesprochene Wort! —
Der Grund für die heutige Regierungserklärung ist die vergangene Woche in Berlin erzielte Einigung auf ein Standortauswahlgesetz.
Als CDU-Landtagsfraktion freuen wir uns über den erzielten Verhandlungsfortschritt. Gleichwohl bleibt festzustellen: Das, was Sie hier eben vorgetragen haben, ging über bloßes Zeitungswissen nicht hinaus. Es enthielt nichts Neues. Und auf zentrale Fragen, die sich in diesem Zusammenhang zwingend stellen, haben Sie keinerlei Antworten gegeben.
Mit Allgemeinplätzen lässt sich vieles abfeiern. Es lohnt sich jedoch, der Sache einmal genauer auf den Grund zu gehen. Zumal die Beteiligten nach der Anfangseuphorie inzwischen in der atomrechtlichen Wirklichkeit angekommen sind. Deshalb ist Ludger Fertmann zuzustimmen, wenn er im Hamburger Abendblatt am 9. April schreibt:
„Das neue Endlagersuchgesetz ist noch nicht der große Durchbruch. Der Prozess wird in quälend langsamen Schritten erfolgen und die Nerven aller Beteiligten strapazieren.“
Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Und deshalb wäre es besser gewesen, wenn Sie, Herr Weil, sich und Ihren Umweltminister nicht so überschwänglich für Ihr vermeintliches Verhandlungsgeschick gelobt hätten.
Fakt ist ebenso: Einen Kompromiss, wie er letzte Woche gefunden wurde, hätten wir im Grundsatz schon vor vielen Monaten haben können. Es war Ministerpräsident David McAllister, der die Tür für einen Endlagerkonsens überhaupt erst aufgestoßen hat. Er hat vor anderthalb Jahren in Winfried Kretschmann einen wichtigen Verbündeten gefunden. Er hat Peter Altmaier von einem Erkundungsstopp in Gorleben überzeugt.
Das gehört zur Wahrheit dazu!
Und noch etwas muss ich Ihnen, Herr Weil ins Stammbuch schreiben:
Das Verhalten, das Sie in dieser Frage bis zum 20. Januar an den Tag gelegt haben, war in hohem Maß „irrational“! Das sage ich auch mit Blick auf den von Ihnen selbst gewählten Titel Ihrer Regierungserklärung und dem Postulat einer „rationalen Endlagersuche“. Sie wussten: Bei einem Neuanfang der Endlagersuche von einer „weißen Karte“ in Deutschland zu sprechen und gleichzeitig sofort einen Ort zu streichen, das geht nicht.
Herr Gabriel und Herr Trittin haben daraus nie ein Hehl gemacht!
Ihre Haltung zu Gorleben war aber nicht nur irrational.
Sie waren in dieser Frage unehrlich. Gleichwohl haben Sie als SPD-Spitzenkandidat eine andere Position bezogen. Das kann jeder im Interview der FAZ vom 10. September 2012 nachlesen.
Mit exakt dieser Position sind Sie in den Wahlkampf gezogen. Mit dieser Haltung haben Sie sich am 20. Januar dem Wählervotum gestellt. Diese Haltung haben Sie auch noch in einem Gast-Kommentar der BILD am Sonntag am 10. Februar 2013 bekräftigt. Ihr zentrales Wahlversprechen hielt gerade einmal sechs Wochen. Das ist bemerkenswert kurz! Deshalb ist es kein Wunder, wenn die „Neue Presse“ (Ausgabe 25. März) Ihnen sehr kritisch ins Stammbuch schrieb – ich zitiere:
„Klar ist: die Gorleben-Frage ist Weils erste große Niederlage als Ministerpräsident. Das Versprechen, den Salzstock im Wendland aus dem Verfahren zu streichen, konnte der SPD-Politiker nicht einhalten.“
Die „Neue Zürcher Zeitung“ fasste den letzte Woche gefundenen Kompromiss unter der Überschrift „Gorleben lebt“ zusammen.
Wir haben Ihnen Ihr Wahlversprechen nie geglaubt. Inzwischen glauben Ihnen auch die Bürgerinitiativen im Wendland nicht mehr!
So sehr wir hoffen, dass Bundestag und Bundesrat im Juli tatsächlich mit breiter Mehrheit ein Standortauswahlgesetz samt Protokollnotiz beschließen – eine Reihe offener Fragen bleibt: Ist es wirklich schon ausgemachte Sache, dass keine neuen Castoren nach Gorleben rollen?
Fakt ist doch: Die Energieversorger haben einen Rechtsanspruch auf diese Transporte nach Gorleben. Im Übrigen ist Gorleben das einzig planfestgestellte Zwischenlager für diese Art von radioaktiven Abfällen. Gegenwärtig liegen keine Genehmigungen für Castoren aus der Wiederaufarbeitung aus Großbritannien und Frankreich für die Standort-Zwischenlager an den Kernkraftwerken vor.
Man braucht aber neue Genehmigungsverfahren für die Einlagerung von verglasten Abfällen in den Zwischenlagern. Denn diese sind bisher nur für die Zwischenlagerung von abgebrannten Brennelementen für maximal 40 Jahre genehmigt. Wie wollen Sie die Betreiber dazu bringen, Genehmigungsanträge zu stellen?
Sie müssen die Energieversorger in dieser Frage doch mit ins Boot holen!
Ich möchte Sie ebenso fragen: Respektieren Sie die völkerrechtlichen Verträge, die in die Amtszeit des Bundesumweltministers Trittin fallen und die Rückführung aus der Wiederaufarbeitung vorsehen?
Sie können in dieser Frage nicht einfach auf Berlin verweisen. Großbritannien und Frankreich würden einen Bruch der geltenden Vereinbarungen nicht ohne weiteres hinnehmen. Es drohten unter Umständen sogar Schadensersatzforderungen, wenn es – bedingt durch die innenpolitische Debatte in Deutschland – zu eklatanten Verzögerungen in der Rückführung käme!
Auch mit neuen Genehmigungen für die Zwischenlager ist es noch nicht getan.
Was machen Sie mit defekten Castor-Behältern? In Gorleben steht dafür eine Pilotkonditionierungsanlage zur Verfügung. Wäre aus Ihrer Sicht verantwortbar, für den Fall der Fälle defekte Castor-Behälter von Philippsburg quer durchs Land bis nach Gorleben rollen zu lassen?
Zudem möchte ich von der Landesregierung wissen: Soll die Genehmigung der Castor-Transporte zukünftig ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgen?
Würden Bund und Länder auf die entsprechenden Verfahren, auf die gerade die Grünen immer gepocht haben, verzichten, um in der Kürze der Zeit eine Lösung herbeizuführen?
Mit dem Stopp der Wiederaufarbeitung in der Amtszeit Jürgen Trittins mussten seinerzeit Standort-Zwischenlager errichtet werden. Hier gab es schon damals erhebliche Vorbehalte von Kommunalpolitikern und der Bevölkerung vor Ort.
Auf diese Vorbehalte wird die Verbringung von Castoren an andere Standorte in Deutschland auch stoßen.
Die Politik steht vor der Herkulesaufgabe, die möglichen Standortkommunen davon zu überzeugen, dass hier nicht auf unbestimmte Zeit bis zum Sankt-Nimmerleinstag die Castoren aus Großbritannien und Frankreich lagern.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt: Wie überwindet man den Widerstand, mit dem an den in Frage kommenden Zwischenlagerstandorten Brunsbüttel und Philippsburg zu rechnen ist? Und welchen Beitrag leistet die Niedersächsische Landesregierung dabei?
Der grüne Umweltminister in Kiel hatte Anfang letzter Woche ein großzügiges Angebot unterbreitet. Inzwischen ist die Schleswig-Holsteinische Landesregierung in dieser Frage deutlich zurückhaltender. Und stellt Bedingungen dem Bund gegenüber, die von sachfremden Erwägungen geleitet werden.
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich, Herr Weil:
Sie können sich nicht einfach auf die Zuschauertribüne zurückziehen und den Bundesumweltminister in dieser Frage alleine auf dem Platz stehen lassen! Ihre bisherige Amtsführung nach dem Prinzip „Liegen lassen. Später machen“ funktioniert in dieser Frage nicht. Im Gegenteil: Unser Land Niedersachsen würde Schaden nehmen, wenn Sie hier nicht kraftvoll vorangehen! Die Gegner eines möglichen Kompromisses in Kiel haben sich inzwischen lautstark artikuliert:
„Es kommt in keiner Weise in Betracht, dass Schleswig-Holstein das alleine macht.“ – so der SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner.
Mit Blick auf die ablehnende Haltung von Herrn Stegner sollten Sie, Herr Weil, von Landesvorsitzendem zu Landesvorsitzendem mal ein deutliches Wort mit Ihrem Parteifreund in Kiel sprechen!
Sehr geehrter Herr Weil,
Es gibt viele offene Fragen, denen Sie sich ernsthaft stellen müssen. Aus niedersächsischer Sicht sind vor allem zwei Fragen von ganz zentraler Bedeutung:
1. Was wäre für unser Bundesland wirklich gewonnen, wenn ein Teil der Castor-Transporte am Ende doch wieder nach Niedersachsen rollt, wenn auch an andere Standorte?
Die Landesregierung kann nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass ein Teil der Castoren am Ende am KKW Unterweser, Grohnde oder Lingen zwischengelagert wird. Was hätte das für Auswirkungen auf den geplanten Rückbau des Kernkraftwerk Unterweser?
2. Was tut die Landesregierung für den Fall, dass die geplante Enquete-Kommission einen anderen Erkundungsstandort in Niedersachsen in den Fokus der Endlagersuche rückt?
Die „Neue Osnabrück Zeitung“ sprach in ihrer gestrigen Ausgabe bereits von einem möglichen „Pyrrhussieg“ und gab in diesem Zusammenhang zu bedenken – ich zitiere: „So oder so ist Niedersachsen in Sachen Endlager nicht aus dem Schneider. Das Bundesland ist reicher als jedes andere an Gestein, das für die Lagerung von Atommüll geeignet scheint.“
Ich sage Ihnen ganz offen:
Nicht nur die Bürger im Wendland, auch die Menschen in Esenshamm, in Wahn, in Lichtenhorst, in Höfer bei Celle und in Bad Zwischenahn haben Anspruch darauf, dass man ihre Interessen vertritt!
Deutschland braucht ein Endlager. Die dauerhafte dezentrale Lagerung von Atommüll ist keine zukunftsfähige und vor allem keine sichere Lösung.
Wenn Sie sich Ihrer Verantwortung für ganz Niedersachsen stellen, und wenn Sie das Prinzip des „Liegen lassen. Später machen“ wenigstens in dieser für die Landespolitik so zentralen Frage einmal außer Kraft setzen – dann, auch nur dann, haben Sie dafür unsere Unterstützung!