Schlusserklärung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Björn Thümler zum Haushaltsplan 2016

                            Es gilt das gesprochene Wort!

Vor uns liegt die Abstimmung über den Haushalt 2016. Hinter uns liegen drei Tage intensiver Einzelplanberatungen.

Es ging bei diesen Einzelplanberatungen zwar immer auch um das große Thema Flüchtlinge. Dennoch blieb weitgehend unklar, welchen Kurs die Landesregierung bei diesem Thema verfolgt.

Wie wir mit den Flüchtlingen, die zu uns nach Niedersachsen kommen, während ihres Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen und später  – nach ihrer Weiterverteilung in die Kommunen – umgehen, dazu haben wir von den Mitgliedern der Landesregierung in den letzten drei Tagen so gut wie gar nichts gehört.

Aus meiner Sicht ist jetzt vor allem zweierlei wichtig:

  1. Maßnahmen zur Drosselung der Zahl der Flüchtlinge sind unverzichtbar. Die Bundesregierung arbeitet daran auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Ich bin optimistisch, dass wir hier schon kurzfristig zu einer spürbaren Entlastung kommen werden.
  2. Diejenigen, die hierbleiben, die müssen gut integriert werden. Hierbei stehen die Länder und die Kommunen in einer besonderen Verantwortung!

Nach drei Tagen Haushaltsberatungen habe ich jedoch leichte Zweifel, ob bereits alle im Detail verstanden haben, vor welch gewaltiger Aufgabe wir stehen.

Tatsächlich ist die Flüchtlingskrise eine der größten Herausforderungen seit Kriegsende. Die Menschen, die heute zu uns kommen, von denen spricht kaum jemand Deutsch. Viele kommen aus anderen Kulturkreisen, haben andere Traditionen, andere Religionen. Um sie nachhaltig zu integrieren, dazu braucht es mehr als die 1 Mio. Euro, die das Land für ehrenamtliche Engagierte in der Flüchtlingshilfe bereitstellt.

Dazu braucht es vor allem konkrete Konzepte, die dann auch mit dem notwendigen Nachdruck umgesetzt werden!

Der Zuzug von Flüchtlingen wird unser Land nachhaltig verändern. Vieles von dem, was wir bisher angenommen haben, bedarf einer Korrektur. Das betrifft die Bildungsplanung. Es betrifft den Arbeitsmarkt. Es betrifft den Städtebau und ebenso den Wohnungsbau.

Es stellen sich viele Fragen.

Es beginnt schon bei der Ankunft der Flüchtlinge:

  1. Wie gestalten wir das Leben der Asylsuchenden in der Warteschleife – also nach der Erstregistrierung und vor der Weiterleitung in die Kommunen bzw. der notwendigen Rückführung nach abgelehntem Asylantrag?
  2. Wie schaffen wir es, den Asylsuchenden in den Erstaufnahmeeinrichtungen halbwegs sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu ermöglichen?
  3. Welche Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten will das Land den Flüchtlingskindern in seinen Erstaufnahmeeinrichtungen eröffnen?

Klar ist jedenfalls: Mit Perspektive gelingt auch die Integration deutlich besser: Die Sprache wird mit größerer Motivation gelernt, die Ausbildung wird mit größerem Elan in Angriff genommen!

Und es geht ja noch weiter.

Was passiert, wenn die Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt worden sind?

1.    Wo schaffen wir neue Infrastruktur?

2.    Wo können wir bestehende Infrastrukturen sinnvoll ergänzen?

3.    Wie und wo schaffen wir zusätzlichen Wohnraum für Flüchtlinge?

4.    Welche gesetzlichen Änderungen sind notwendig, um den Kommunen den Bau von Wohnungen zu  gestatten?

5.    Wie verhindern wir eine dauerhafte Ghettoisierung?

Herr Weil!

Sie haben selbst mehrfach davon gesprochen, dass die Flüchtlinge von heute unsere Nachbarn von morgen sind. Was aber folgt daraus konkret für die Politik Ihrer Landesregierung?

Klar ist: Mittel- und langfristig brauchen diejenigen, die bei uns bleiben, Wohnungen und Arbeitsplätze. Vor allem die Wohnungsversorgung wird zur Nagelprobe für den sozialen Frieden in den nächsten Jahren.

Auch wenn die Zugewanderten letztlich nur wenig Wohnfläche zugewiesen bekommen –  wir sind dennoch nicht gefeit vor Neiddebatten.

Denn: Längst wachsen politische Gruppierungen heran, die gezielt Unwahrheiten verbreiten und schon jetzt reichlich Gift des Neides und der Intoleranz gegen Flüchtlinge versprühen.

Da müssen wir gewaltig aufpassen und uns vor allem gewaltig anstrengen!

Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit mögen ein wichtiges Signal der Mitmenschlichkeit sein. Lichterketten allein begründen jedoch noch keine neue Politik, die die Probleme aufgreift und umsichtig löst!

Da muss die Politik einen klaren Kurs steuern und, wo nötig, auch unbequeme Entscheidungen treffen.

Es gibt weitere Fragen, auf die die Landesregierung schnell gute und überzeugende Antworten geben muss:

  1. Wie etwa soll gewährleistet werden, dass Flüchtlingskinder im Schulalltag eine angemessene Förderung erhalten?
  2. Wie bereiten wir die Lehrer, Ausbilder und Betriebe auf die absehbaren Herausforderungen vor?
  3. Wie schaffen wir bei den Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive die notwendige Akzeptanz für unsere Werteordnung?

Da können wir in Niedersachsen durchaus von anderen Bundesländern lernen!

Bayern beispielweise startet im Januar ein neues Integrationsprojekt für Asylbewerber mit Bleibeperspektive. Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger werden in den Flüchtlingsheimen Rechtskunde lehren. Das ist durchaus nachahmenswert!

Überzeugende Antworten erwarte ich auch bei der weiteren Einbindung der Ehrenamtlichen. Warum hat Niedersachsen nicht längst schon ein „Freiwilliges Soziales Jahr“ in Flüchtlingsheimen eingeführt, so wie es der Freistaat Sachsen getan hat?

Die Freiwilligen könnten ihren Dienst sowohl in den Erstaufnahmeeinrichtungen als auch in den Flüchtlingsunterkünften von Städten und Kreisen leisten. Auch Asylbewerber könnten das Jahr beantragen.

Ich finde es unerlässlich, dass alle demokratischen Kräfte in Niedersachsen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise zusammenzuarbeiten.

Die außerordentliche Situation würde es erfordern, dass wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen.

Umso bedauerlicher finde ich, dass Sie, Herr Weil, bislang keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, die beiden Oppositionsfraktionen bei diesem Kraftakt sinnvoll einzubinden.

Es reicht eben nicht aus, wenn der Bevollmächtigte des Landes Niedersachsen beim Bund eine unverbindliche Einladung an die im Landtag vertretenen Parteien ausspricht, sich am Aktionsbündnis „Niedersachsen packt an“ zu beteiligen. Das kann und darf kein Ersatz für gemeinsames kraftvolles Handeln in der Flüchtlingspolitik sein!

Ob wir die Herausforderung der Flüchtlingskrise meistern, hängt maßgeblich von der Politik ab. Sie muss klare Entscheidungen treffen, Hoffnungen schaffen und Ängste ausräumen!

In diesem Jahr wird Niedersachsen vermutlich mehr als  80.000 Flüchtlinge aufnehmen. Die wirkliche Arbeit hat erst begonnen!

Jeder Abgeordnete der Fraktionen von CDU und FDP auf der rechten Seite dieses Hauses ist bereit, dieser besonderen Verantwortung, die die Politik jetzt hat, gerecht zu werden.

veröffentlicht am 17.12.2015