Erwiderungsrede des Vorsitzenden der CDU-Fraktion Sebastian Lechner anlässlich der Regierungserklärung „Hochwasserereignisse in Niedersachsen rund um den Jahreswechsel 2023/2024 (Weihnachtshochwasser 2023)“ des Niedersächsischen Ministerpräsidenten am 07.02.2024

-Es gilt das gesprochene Wort-

Frau Präsidentin,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

  1. Verantwortung für die Geschädigten

In den Weihnachtstagen und den Wochen danach haben massive Hochwasserwellen unser Land getroffen. Über Wochen hinweg waren große Teile Niedersachsens überflutet. Die Bedrohung durch brechende und unterspülte Deiche war allgegenwärtig. Die Lage war vielerorts kritisch.

Bei mir in Neustadt am Rübenberge hatten wir in der Spitze 6,15 m. Das 100-jährige Hochwasser liegt bei 7,04 m. Es hätte keine 15 cm mehr steigen dürfen, dann wären wir in eine sehr schwierige Lage gekommen.

Für viele war die Lage allerdings schon schwierig genug: Familien mussten aus Ihren Häusern evakuiert werden. Teilweise gab es keinen Strom und keine Frischwasser-versorgung mehr. Ihr Hab und Gut wurde in Teilen zerstört oder aber massiv beschädigt. Landwirtschaftliche und andere gewerbliche Betriebe wurden in Mitleidenschaft gezogen. Viele Menschen hatten und haben Existenzängste. Es ist unsere Verantwortung, sie bei nicht allein lassen!

2. Dank für die große Solidarität

Gleichzeitig machte der Umgang mit der Hochwasserlage in Niedersachsen Mut und gibt Zuversicht! Denn es gab eine große Solidarisierung mit den Geschädigten und auch mit den Helferinnen und Helfern. Überall gab es Menschen, die Lebensmittel zur Verfügung stellten, den Einsatzkräften Mittagessen kochten, Landwirte, die mit eigenen Geräten aushalfen.

In Haren an der Ems haben 2000 Menschen nach einem Aufruf durch den Bürgermeister bei der Deichsicherung unterstützt. Insgesamt war das eine bewundernswerte Solidarität. Eine gemeinsame Leistung, die am Ende dazu geführt hat, dass wir diese Hochwasserlage noch mit einem blauen Auge bewältigen konnten.

Diesen Geist und dieses Gefühl sollten wir uns bewahren,

auch für dieses Jahr, und wir danken wirklich allen, die daran mitgewirkt haben!

3. Dank an Helfer

Ein besonderer Dank gilt unseren vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Einsatzkräften sowie all denjenigen, die in den kommunalen Krisenstäben mitgewirkt und die überall im Land wirklich einen bewundernswerten Dienst geleistet haben.

Wie bei mir in Neustadt so im ganzen Land gibt es Einsatzkräfte, die von Weihnachten bis weit in den Januar hinein ununterbrochen im Einsatz waren. Manchmal rund um die Uhr, bis zur Erschöpfung. Das ist ein Engagement, was über das hinausgeht, was man von Ehrenamtlichen erwarten kann.

Deswegen möchte – und ich denke ich kann das im Namen des gesamten Hauses sagen – allen Hilfskräften, den kommunalen Behörden und dem Innenministerium für die gute Koordinierung unseren aufrichtigen Dank aussprechen.

4. Wertschätzung der Ehrenamtlichen

Wir haben Vorschläge gemacht, wie wir gerade dieses außergewöhnliche ehrenamtliche Engagement würdigen können. Sie machen jetzt auch welche. Es ist gut, dass es eine besondere Hochwassermedaille geben soll und es ist auch gut, dass das Land mit eigenem Geld die Danksagungspartys unterstützen will.

Die von Ihnen angekündigte Brand- und Katastrophenschutznovelle lässt allerdings jetzt schon sehr lange auf sich warten. Bisher hat sie den Landtag nicht erreicht.

Wir machen ihnen in diesem Plenum einen einfachen Gesetzes-Vorschlag, bei dem wir die Freistellungansprüche aller im Katastrophenschutz Beteiligten gesetzlich angleichen wollen. Das ist längst überfällig. Das können wir einfach gemeinsam schnell beschließen. Deswegen stimmen Sie hier doch besser gleich unserem Gesetzentwurf zu!

5. Nachtragshaushalt

Und dann ist es unsere Aufgabe, nun schnell akut die Schäden zu bewältigen, und für die Katastrophenschutzeinheiten die Ausrüstungen aufzufüllen und auch zu ertüchtigen. Denn die eigentliche Hochwasserphase meistens im Frühjahr. Deswegen haben wir Ihnen schon am 10. Januar einen Nachtragshaushalt vorgeschlagen. 

Gut, dass Sie sich dem jetzt anschließen und Ihren Plan fallen gelassen haben, lediglich mit einer Soforthilfe von 10 Mio. Euro auf die Hochwasserlage zu reagieren. Mit den 111 Mio. EUR sind wir aus unserer Sicht in der Lage, adäquat und schnell zu reagieren. Wir werden, auch wenn wir uns noch über die konkrete Finanzierung uneinig sind, heute zum Nachtragshaushalt ein gemeinsames Zeichen setzen und diesem Nachtragshaushalt zustimmen.

Wichtig ist, dass die von Ihnen angesprochenen Richtlinien für die Unterstützung von Privatpersonen, Unternehmen und für die Entschädigung der Landwirtin auch schnell kommen. Bisher sind die Erfahrungen mit Ihrer Landesregierung, dass das eine ganz Zeit lang dauert. Aber die Richtlinien müssen ohne Zeitverzug unkompliziert den Menschen helfen. Wir dürfen hier keine Zeit verlieren!

6. Schlanker Fuß – Hochwasserdemenz

Klar ist aber auch, wenn wir 2 Millionen Sandsäcke in Niedersachsen einsetzen müssen, um die Lage zu bewältigen, dann sind wir in Sachen Hochwasserschutz noch nicht da, wo wir sein sollten.

Das haben sie selbst zugegeben. Allerdings sind sie auch schon mehr als 10 Jahre dafür verantwortlich. Es gilt ein Hochwasserschutzsystem aufzustellen, das so gut funktioniert, dass uns unsere ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer mit einem ausgewöhnlichen Einsatz nicht nochmal – im wahrsten Sinne des Wortes – vor dem Absaufen retten müssen. Das ist die Aufgabe, die wir jetzt haben.

7. Seesen Bornhausen

Wir brauchen deswegen ein Fünf-Jahres-Hochwasserschutz-programm. Sachsen-Anhalt hat schon im Dezember 2022 ein solches 657 Millionen € schweres Programm aufgelegt. In der Strategie sind 195 Projekte enthalten für die Deichsanierung-, neubau-, und -ertüchtigung sowie den Bau von Hochwasserrückhaltebecken etc. Damit müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Sachsen-Anhalt mehr für 300 Kilometer Deichlinie ausgibt als Niedersachsen für 2000 Kilometer. Das Herr Ministerpräsident ist zu wenig.

Da haben wir echten Nachholbedarf. Das sieht man auch am Beispiel des Hochwasserrückhaltebeckens in Seesen-Bornhausen. Die Baukosten belaufen sich allein für dieses Projekt auf 17 Mio. €. Es fehlen insgesamt ca. 5 – 6 Mio. Finanzierung. Ein solches Becken entspannt die Lage für das ganze Weser-Flusssystem hinunter. Sie sind bis jetzt nicht die zu geben.

Sie haben eben lediglich vage Andeutungen gemacht, Dass der Hochwasserschutz eine Rolle spielen werde bei den nächsten Haushaltsaufstellungen. Das ist nicht entschieden genug, Herr Ministerpräsident.

Das ist nicht der Geist Sachsen-Anhalts, dem Hochwasser-schutz Priorität einzuräumen, sondern mit so einem Geist lassen Sie die Menschen buchstäblich im Regen stehen, Und dieser Regen gefährdet Existenzen!

8.Vereinbarung mit dem Bund

Dabei sind wir bei Ihnen, dass auch der Bund hier Verantwortung trägt. Sie haben öffentlichkeitswirksam mitgeteilt, dass Sie zusammen mit den Regierungschefs von Bremen, Sachsen-Anhalt und Thüringen einen schönen Brief an den Bundeskanzler geschrieben und eine Unterstützung durch den Bund, ähnlich wie nach den Hochwassern 2017 und 2013 in.

Nach unseren Informationen ist der Bund allerdings nicht bereit, in irgendeiner Weise Kosten zu übernehmen oder sich zu beteiligen. Ein mittlerweile bekanntes Muster: Sie schreiben einen Brief und der Bundeskanzler ignoriert ihn fröhlich.

Der Kanzler ist von Ihrer eigenen Partei! Sie sind beide Mitglieder der SPD.  Ein Kanzler, der in Verden nur betroffen auf das Wasser starrt, kann gerne in Berlin bleiben!

9. Darf sich nicht wiederholen

Aber es ist nicht nur das Geld. Das haben sie richtig erkannt. Von besonderer Bedeutung ist, dass der Schutz der Menschen im Mittelpunkt des Handels steht.

Und da will ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, sagen, dass wir den Eindruck haben, dass das seit mittlerweile 11 Jahren von Grünen und SPD geführte Umweltministerium, seine Abwägung nicht nach diesem Maßstab vollzieht.

Wenn in Oldenburg am Achterdiek die Bäume in der Akutphase gefällt werden müssen, weil sie drohen, umzukippen und damit den Deich zu beschädigen, dann kann ich Ihnen versprechen, dass das vorher schon mal jemanden aufgefallen ist, dass diese Bäume am Deich nichts zu suchen haben. Aber vorher durften die nicht gefällt werden. Das war eine falsche Abwägungsentscheidung.

In Jork-Hinterbrack laufen die Planungen für die Deicherhöhung schon seit 2018. Vor Ort wollte man schon längst loslegen. Es wird uns aber berichtet, dass Naturschützer vom Nabu, aber auch, das Umweltministerium selbst wegen überzogenen Forderungen nach Flächen für den Naturschutzausgleich, auf der Bremse stehen.

Sie sagen, sie müssen darüber mit dem Bund verhandeln. In Schleswig–Holstein und Hamburg gibt es gar keine Kompensationsauflagen bei Deichbaumaßnahmen. Diesem Beispiel können Sie schonmal einfach folgen! Da können Sie selbst handeln!

In Haren, Kirchwahlingen, Altenwahlingen, Schweiburg, Wapelersiel, … überall das gleiche Bild. In unseren Gesprächen, die wir geführt haben, wurde überall darauf hingewiesen, dass die Planungskonflikte zwischen Natur- und Umweltschutz und die mangelnden Kapazitäten im NLWKN viele der Hochwasserschutzprojekte in diesem Land gefährden.

Der schlimme Höhepunkt dabei ist Hitzacker: In Hitzacker an der Elbe gibt es erhebliche Schwachstellen in der Deichlinie auch über ein Jahrzehnt nach dem letzten großen Elbhochwasser im Jahr 2013, insbesondere im Raum Lüchow-Dannenberg.

Für die dringend erforderlichen Maßnahme stehen finanzielle seit 2013 rund 43 Mio. Euro zur Verfügung. Passiert ist bislang aber trotzdem so gut wie nichts.

Die Ursache: Das NLWKN und die Behörde für das Biosphärenreservat, beide Teil des Umweltministeriums, konnte man sich bis heute aufgrund von naturschutzfachlichen Belangen sowie Kapazitätsengpässe beim NLWKN auf keine Planung verständigen.

Ich haben ihnen dazu vor Weihnachten einen Brief geschrieben! Das ist organisierte Verantwortungslosigkeit! Wenn ich dies zu verantworten hätte, Herr Ministerpräsident, könnte ich nicht ruhig schlafen.

Jetzt werden einige von Ihnen sagen, das ist EU-Recht, das ist Bundesrecht, da können wir nicht anders vorgehen. In § 4 Satz 1 Nummer 6 des Bundesnaturschutzgesetzes wird dabei doch klar geregelt, dass für Flächen, die dem Schutz vor Hochwasser dienen, diese bestimmungsgemäße Nutzung auch zu gewährleisten ist.

Und dies hat dem Natur- und Landschaftsschutz nach dem Gesetz auch vorzugehen. Sachsen-Anhalt hat im Gegensatz zu Niedersachsen die Lehren aus dem Hochwasser 2003 gezogen und die Elbdeiche seit 2013 fast durchgängig erhöht.

Es ist dieselbe Elbe, es gelten dieselben rechtlichen Grundlagen, dasselbe Naturschutzrecht. Ein entscheidender Punkt in Sachsen-Anhalt war aber auch der Verzicht auf umfängliche Planfeststellungsverfahren, sofern der neue Deich auf einer bestehenden Trasse verlief.

Die Menschen in Niedersachsen haben das Recht auf eine Regierung, die die Menschen an die erste Stelle setzt. Erst Sicherheit für die Menschen, dann der Schutz der Natur.

10. Was jetzt zu tun ist

Sie sollten die Gespräche mit dem Bund führen, die Planungsbeschleunigung auf den Hochwasserschutz auszuweiten ist eine gute Idee.

Wir erwarten aber klar, dass sie im Land schon anfangen zu handeln und dass Sie unverzüglich per Erlass an alle Landesbehörden vorgeben, dass der Schutz der Menschen beim Hochwasserschutz vorgeht.

Wir erwarten außerdem, dass Sie in alle relevanten Landesgesetze, das Deichgesetz, das Wassergesetz und das Raumordnungsgesetz ein „überragendes öffentliches Interesse von Hochwasserschutzmaßnahmen“ aufnehmen.

Menschen legen ihr Schicksal in die Hand von Regierungen, Aber diese Hand muss auch mal zupacken!

11. Schluss

Es geht hier heute nicht um Opposition gegen Regierung.

Es geht darum, dass die Menschen spüren, dass sie in ihrer Not nicht allein sind. Nicht heute. Und auch nicht in Zukunft! Lassen Sie uns jetzt handeln und die Maßnahmen auf das Gleis setzen:

Vom Erlass und den Gesetzesänderungen mit der Vorfahrt für den Schutz der Menschen, über ein Investitionsprogramm, über den Nachtragshaushalt bis hin zu einer Vereinbarung mit dem Bund, bevor bei uns allen wieder die Hochwasser-Vergesslichkeit einsetzt. Mehr Sicherheit für unsere Menschen ist machbar!

Vielen Dank!

veröffentlicht am 07.02.2024