Rede Sebastian Lechner, zu TOP 27 „45 Jahre Europawahlen und 75 Jahre Grundgesetz: Feiern, verteidigen und stärken wir Demokratie, Frieden und Freiheit“

-Es gilt das gesprochene Wort-

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,

In diesem Jahr haben wir allen Anlass dazu, mit Dankbarkeit auf drei zentrale Ereignisse deutscher Geschichte zurückzublicken.

Vor 75 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft. Vor 45 Jahren fanden die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament statt.

Vor 35 Jahren führte die friedliche Revolution der mutigen Bürgerinnen und Bürger in der damaligen DDR zum Fall des Eisernen Vorhangs und zur Wiedervereinigung unseres Landes.

An die Stelle des früheren Artikels 23, der einen Eckpfeiler des verfassungsrechtlichen Auftrags zur Wiedervereinigung bildete, ist 1992 der „Europa-Artikel“ getreten. Drei Ereignisse, die schon für sich allein genommen, unser Land nachhaltig geprägt, verändert und transformiert haben. Das demokratisch verfasste, europäisch verankerte und friedlich wiedervereinigte Deutschland wäre ohne diese drei konstitutiven Wegmarken nicht möglich gewesen.

Deswegen blicken wir heute mit großer Dankbarkeit auf diese besonderen deutsch-europäischen Jubiläumsjahre zurück, auf die Menschen, die sie möglich gemacht haben. Bei all der berechtigten Dankbarkeit sollten wir aber auch demütig bleiben. Denn in diesem Jahr jährt sich ein weiteres Schicksalsjahr deutscher Geschichte.

Vor 85 Jahren, am 01. September 1939, überfiel das Deutsche Reich Polen. Damit begann nicht nur der verbrecherische Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands, der weltweit über 60 Millionen Opfer forderte.

Damit begann auch der Zivilisationsbruch der Shoah, der Ermordung von über 6 Millionen Juden im deutschen Namen. Nur wer sich auch dieses schrecklichen Teils unserer Geschichte bewusst ist, daraus Verantwortung für zukünftiges Handeln ableitet und sich der immerwährenden Verpflichtung gewahr ist, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen, der ist heute dazu aufgerufen, mit uns gemeinsam die drei glücklichen Wegmarken deutsch – europäischen Geschichte zu feiern.

Das Grundgesetz war die Konsequenz aus dem Scheitern von Weimar, aus der Machtergreifung der Nationalsozialisten und aus dem Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Deswegen stellten die Mütter und Väter des Grundgesetzes die unveräußerlichen Grundrechte an den Beginn des Grundgesetzes.

Es war auch Konrad Adenauer, der als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates, dem Gremium, welches das Grundgesetz erarbeitete, maßgeblich an der Formulierung des Artikel 1 beteiligt war:  “Die Würde des Menschen ist unantastbar”.  

Was für ein großartiger aus dem christlichen Menschenbild abgeleitete Satz. Die Verbrechen des Nationalsozialismus wurden nur durch eine Abkehr von diesem Paradigma möglich.

Und es ist unsere historische Verpflichtung, Verantwortung, Und Auftrag, auch aus dieser besten Verfassung, die das Land je hatte, nie wieder die Würde auch nur eines Menschen, in unserem Land zu verletzen.Die Konsequenz aus Weimar und dem Nationalsozialismus war aber nicht nur eine veränderte Stellung der Grundrechte in der Verfassung.

Sondern auch die Erkenntnis, dass es einer starken Gewaltenteilung bedarf. Horizontal zwischen Judikative, Exekutive und Legislative. Aber auch vertikal. Zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen.

Es war Wille der Grundmütter und -väter unseres Grundgesetzes aus den Erfahrungen des Dritten Reichs, nie wieder die Macht in eine Hand zu geben. Die heutigen zentralstaatlichen Tendenzen betrachte ich deshalb auch aus dieser Perspektive mit großer Skepsis.

Der Bund regiert heute allzu oft in die Kompetenzen der Länder rein, wir tun dieses in ähnlicher Weise gegenüber unseren Kommunen. Wir brauchen mehr Mut, den Gedanken der Subsidiarität, einem der christlichen Soziallehre immanenten Begriff, auszufüllen. Es macht uns schneller, besser, und es ist zu Recht konstitutives Element der Gewaltenteilungen unseres Grundgesetzes. Haben wir mehr Mut zu einem gelebten Föderalismus!

Dies gilt umso mehr, als dass unsere liberale Demokratie vor allem von den vielen Menschen vor Ort getragen wird. Von all den Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren. Von den vielen Vereinen, Gemeinschaften und Initiativen vor Ort, von den Medien, von der Lokalzeitung, von den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern.

Deswegen ist es auch so wichtig, gerade diesen Menschen, Ihren Freiraum, ihre Motivation zu lassen. Wenn sie im Internet beschimpft und bedroht werden, sie gar geschlagen und angegriffen werden.

Dann wird hier die Axt an die Wurzeln unserer liberalen Demokratie gelegt. Wir dürfen hier keinen Millimeter weichen. Sonst weicht unsere liberale Demokratie.

Dabei ist natürlich auch die Art und Weise, wie wir uns politisch auseinandersetzen, Sehr wichtig! Ich kann es nicht mehr hören, Diesen Satz: “Das muss man doch mal sagen dürfen!

Ja, wir sprechen die Dinge an, wir versschweigen nichts. Wir adressieren die Probleme, aber wir machen das anständig. Respektvoll. Und vor allem wahren wir dabei die Würde eines jeden Menschen in diesem Land.

Und wir werden immer auch Kompromisse schließen müssen. Angesichts seiner Entstehungsgeschichte war auch das Grundgesetz durchweg eine Verfassung mit Kompromisscharakter. Denn es galt, die Vorstellungen des christlich-liberalen sowie des sozialdemokratischen Lagers klug miteinander auszutarieren. Kompromisse sind das Wesen einer Demokratie. Das Wesen unseres Grundgesetzes.

Bürgerliche politische Kultur, Kompromisse, sind nicht veraltete politische Formen von irgendwelchen Altparteien, sondern für eine liberale Demokratie lebensnotwendige Voraussetzungen für den Zusammenhalt!

Nicht nur in Deutschland ist die Demokratie herausgefordert. In ganz Europa sind Frieden und Freiheit bedroht.

Es ist kein Geheimnis, dass Russland und China die liberalen Demokratien destabilisieren wollen. Sie finden willfährige Helfer in den rechtspopulistischen und -extremen sowie linkspopulistischen und – extremen Parteien in Europa.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gestern ein Abgeordneter der AFD seine Rede auf Chinesisch beendet hat.

Aber wir lassen das nicht zu. Wir werden allen entgegentreten, Die unser Europa zerstören wollen! Denn nur ein starkes, einiges und geopolitisch handlungsfähiges Europa ist der Garant dafür, dass wir auch in Zukunft in Frieden und Freiheit leben können. Klar. Wir müssen Europa und die EU reformieren.

Es läuft nicht alles gut. Mehr Pragmatismus ist das Gebot der Stunde!  

Wir müssen die demokratischen Institutionen stärken. Wir brauchen Initiativerechte für das Parlament, Mehr Anbindung der Kommission an das Parlament.

Wir brauchen auch hier eine Debatte, was muss Europa machen, was nicht. Auch auf europäischer Ebene müssen wir die Subsidiarität stärken. Aber bei allen Einwendungen, bleibt diese europäische Union das größte Friedens- und Freiheitsprojekt, dass die Welt bisher gesehen hat.

Mir ist das nochmal bewusst geworden, beim Staatsakt für den verstorbenen Wolfgang Schäuble, ein glühender Europäer, nie Bundeskanzler und Staatspräsident. Trotzdem kam der französische Präsident zum Staatsakt. Weil es ihm wichtig war, damit ein Zeichen für Europa und die deutsch – französische Freundschaft zu setzen. Ich hatte Gänsehaut bei seiner Ansprache.

Wer hätte 1951, bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, gedacht, dass aus erbitterten Feinden enge Verbündete werden?

Es ist diese Idee von Frieden und Freiheit, die Europa ausmacht und für die wir uns jeden Tag aufs Neue engagieren müssen.

Wir Niedersachsen sind überzeugte Europäer. Wir sind stolz im Herzen Europas zu liegen mit all den damit verbundenen Chancen. Wir sind die Verkehrs- und Logistikdrehscheibe schlechthin.

Wir sind der Energy-Hub, wenn es um On- und Off-Shore, Gas und Wasserstoff geht.  Wir sind mit unseren Universitäten und Hochschulen in europäischen Lehr- und Forschungsnetzwerken eng verbunden.

Die Zukunft Niedersachsens geht nur mit Europa!  Deswegen appelliere ich an alle Niedersachsen am 09. Juni wählen zu gehen. Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch und stärken Sie die Demokratie in Europa.

Lassen Sie uns die Wegmarken unserer deutsch-europäischen Geschichte heute feiern. Diesen großartigen Weg unserer deutschen Demokratie und der europäischen Einigung.

In der festen Überzeugung, dass es sich lohnt, für unsere Demokratie einzustehen, sei es 1949, 1979, 1989 oder 2024.

Herzlichen Dank!

veröffentlicht am 17.Mai.2024