Rede des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten (TOP 19)

– Es gilt das gesprochene Wort! –

Im Namen der CDU-Fraktion bedanke ich mich für die heutige Regierungs­erklärung zur Corona-Pandemie. Angesichts der Vielzahl von Regierungserklärungen zu diesem Thema hatte ich – genau wie Sie – noch im Septemberplenum einen gewissen Sättigungseffekt des Parlaments befürchtet. Im Falle der heutigen Erklärung kann ich einen solchen Effekt definitiv nicht feststellen. Denn in der Tat gibt es Neues zu berichten.

Zur wirtschaftlichen Lage und  der Entwicklung der Infektionszahlen haben Sie Herr Ministerpräsident aber auch meine Vorredner bereit viel Richtiges gesagt. All das muss nicht wiederholt werden. Tatsächlich reden müssen wir über die geplante Aktualisierung der Corona-Verordnung.

Zunächst freue ich mich, dass es nun endlich gelungen ist, diese Verord­nung kürzer, einfacher und systematisch nachvollziehbarer zu gestalten. Dieser Weg sollte nun beibehalten werden. Einiges muss zur besseren Verständlichkeit sicher noch nachgebessert werden.

Das eigentlich Neue der Verordnung ist aber die – wie ich finde – seit langem überfällige Ergänzung um Verhaltensvorschriften im privaten Bereich. Wir waren uns in der Koalition anfangs uneinig, ob es solcher Vorschriften bedarf. Tatsächlich wurde dann anschließend auf entsprechende Vorschriften verzichtet. Ich hielt dies von Anfang an für einen Webfehler der Verordnung. Ein Webfehler, der aber zu meiner Überraschung von vielen Menschen in unserem Land überhaupt nicht wahrgenommen worden ist.

Ich erinnere mich noch an meine Frage an den Ministerpräsidenten, wie man denn reagieren wolle, wenn sich das Partygeschehen aus den Kneipen und Clubs in Privatwohnungen verlagern würde. Und meine weitere Frage, wie denn die Ordnungsbehörden eine solche Verlagerung kontrollieren sollten. Sie, Herr Ministerpräsident, verwiesen seinerzeit auf die allgemeinen, im öffentlichen Raum geltenden Abstands- und Hygieneregeln. Und – ich gebe es zu – zu meiner Überraschung hat das tatsächlich funktioniert. Weil nämlich die Masse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger so umsichtig war, die im öffentlichen Raum geltenden Regeln ganz von selbst auf den privaten Raum zu übertragen. Dafür meinen herzlichen Dank.

Aktuell müssen wir aber in der Tat feststellen, dass die Disziplin bröckelt. Es sind noch immer Einzelfälle. Aber oft Einzelfälle mit erschreckenden Ausmaß. Und darüber, wie wir diesen Einzelfällen begegnen müssen, können wir in der Tat sehr kontrovers diskutieren. Das haben Sie, Herr Kollege Dr. Birkner, ja immer zu recht eingefordert. Insofern gestehe ich durchaus einen weiteren Erkenntnisprozess.  Der meinerseits möglicher­weise noch lange nicht abgeschlossen ist.

Herr Kollege Dr. Birkner, ich bin Ihnen in der Tat dankbar, dass Sie die Frage der parlamentarischen Beteiligung bei der Bewältigung der Corona-Krise Tag für Tag wieder stellen. Sie tun dies nach meiner Über­zeugung aufrichtig und aus ehrlicher Sorge um den Parlamentarismus in unserm Lande. Und es ist auch deshalb klug, diese Frage immer wieder neu zu formulieren, damit man die wichtige Fragestellung nicht ganz anderen Kräften überlässt. Solchen, die die Demokratie nicht stärken, sondern schlussendlich schwächen oder gar beseitigen wollen. Die FDP hat sich in ihrer Geschichte der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten immer in ganz besonderer Weise gewidmet. Und es ist gut, wenn Sie das weiter engagiert tun.

Ich warne aber davor, die Diskussion ausschließlich aus akademisch staatsrechtlichen Gesichtspunkten heraus zu führen. Sie laufen nach meiner Beobachtung Gefahr, sich aus der weitergehenden Verant­wortung zurückzuziehen. Wenn Sie das Parlament an der Ausgestaltung der Corona-Verordnung beteiligen wollen, müssen Sie weitaus mehr als bisher sagen, wie denn die Regeln ausschauen sollen. Und damit eben diese von mir angemahnte Verantwortung übernehmen. Das erwarten nicht nur wir, sondern alle Demokraten in diesem Land.

Sie waren es, Herr Dr. Birkner, der insbesondere im Mai dieses Jahres vehement eingefordert hat, dass die Informations- und Kontrollrechte des Parlaments in der jetzigen Situation gewahrt bleiben. Sie wollten die Inhalte der Corona-Verordnung hier diskutieren. Noch am 19. Mai haben Sie in einer Pressemitteilung gefordert, dass der Landtag die Inhalte einer geänderten Verordnung  frühzeitig, also vor Ihrer Verkündung, erfährt.

Die Landesregierung hat reagiert. Daher wurde erstmalig am 2. Juni ein Entwurf einer Änderungsverordnung an den Landtag versandt, bevor diese Änderung dann in Kraft getreten ist. So wird seit Juni 2020 ausschließlich verfahren.

Parallel dazu hat es in jeder folgenden Plenarwoche eine Regierungs­erklärung des Ministerpräsidenten zur Corona-Lage und den jeweiligen Änderungen der entsprechenden Verordnung gegeben. Sie hatten damit mehr als ausreichend Gelegenheit, Ihre Vorstellungen zur Corona-Verordnung mit uns zu diskutieren. Und Sie haben diese Gelegenheit glatt vertan.

Herr Dr. Birkner, Sie haben sich in der Vergangenheit mehrfach die Mühe gemacht, die Redebeiträge des Ministerpräsidenten zu analysieren. Also nicht dem Inhalt nach, sondern durch Ermittlung Ihres Umfangs. Ich habe mir nun einmal die Mühe gemacht, Ihre Erwiderun­gen auf insgesamt 5 Regierungserklärungen zur Corona-Verordnung nachzulesen.

Ich stelle fest: Die Summe Ihrer Erwiderungen ist auf etwa 2000 Zeilen im Protokoll der Landtagsverwaltung festgehalten. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Corona-Verordnung hat, auch bei groß­zügigster Betrachtung, auf ganzen 60 Zeilen stattgefunden. Sie haben in der Tat die Frage der Beschränkung von Verkaufsflächen im Einzel­handel – vormals 800 qm –, die Öffnung von Spielhallen sowie Probleme bei Wochenmärkten und im Hotelgewerbe angesprochen. Auf 60 Zeilen von insgesamt 2000. Das sind etwa 3 Prozent Ihrer Redezeit. Berücksichtigt man nur die Redezeit seit Juni dieses Jahres, also seit dem Zeitpunkt, in dem die Verordnungstexte dem Landtag vorab zur Verfügung gestellt worden sind, wird es leider nicht besser. Man landet dann bei 34 Zeilen von 1000. Oder etwa 4 % der Redezeit.

Lieber Herr Kollege Dr. Birkner, im Rahmen der Regierungserklärungen rede ich hier immer an vorletzter bzw. neuerdings letzter Stelle der Fraktionsvorsitzenden. Gern hätte ich im Detail auf Ihre Vorstellungen zur Gestaltung unserer Corona-Regeln in Niedersachsen reagiert und mit Ihnen diskutiert. Es war bislang schlichtweg nicht möglich. Weil Sie sich dieser Diskussion entzogen haben. Und damit auch Ihrer Verant­wortung als Parlamentarier.

Sie haben hier seit dem 23. März nicht eine einzige konkrete Maßnahme zur Eindämmung vorgeschlagen. Nicht eine. 2000 Zeilen Rede, unzählige dogmatische Hinweise zur Anwendung und Bedeutung unserer Grundrechte. Als Jurist geht mir das Herz auf. Aber null – gar keine – eigenen Vorschläge, wie man es denn anders machen soll. Das ist nicht die Premiumopposition, die Sie immer sein wollen.

Corona-Verordnung, das ist immer mit Einschränkungen und Belastun­gen verbunden. Dinge, die man als Politiker ungern verkündet. Aber verantwortliche Politik ist eben nicht immer vergnügungssteuer­pflichtig. Manchmal muss man sich auch unangenehmen Aufgaben stellen. Wir haben das in der Koalition getan. Und ich danke hier einmal all den Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, die die unan­genehme Aufgabe übernommen haben, die Einschränkung persönlicher Freiheiten in ihren Wahlkreisen zu vertreten. Sie sind damit Ihrer Verantwortung nachgekommen. Auch wenn sie selbst immer wieder die Richtigkeit einzelner Maßnahmen intern hinterfragt haben.

Herr Dr. Birkner, in Ihrem heutigen Redebeitrag haben Sie die von mir ermittelte Verteilungsquote zu Gunsten einer detaillierten Auseinander­setzung mit der Corona-Verordnung tatsächlich ein wenig verändert. Ein Anfang. Die Diskussion über Einschränkungen von Feiern im privaten Bereich will ich gerne mit Ihnen führen.

Ich denke, wir müssen hier sehr genau unterscheiden. Zum einen, was

im privaten Bereich künftig verboten ist, dann nach den Gründen für diese Verbote fragen und schließlich prüfen, inwieweit die Kontrolle dieser Verbote möglich und vor allem zulässig ist.

Zunächst die Frage, was hier verboten werden soll. Diese Frage hat bereits der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung im Detail beantwortet. Ich will diese Information nur um einen Punkt ergänzen. Das, was hier untersagt werden soll, trifft uns anders als etwa die Maskenpflicht beim täglichen Einkauf allenfalls rudimentär.

Ich weiß nicht, wie viele Mitglieder dieses Hauses regelmäßig mit mehr als 25 Personen in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Wohnhaus feiern. Ich selbst wohne nach meinem Empfinden einigermaßen groß­zügig. Eine private Zusammenkunft von mehr als 25 Personen in meinem heimischen Wohnzimmer wäre mir aber – wenn es einiger­maßen bequem werden soll – kaum möglich. Unter Wahrung der jetzt üblichen Hygienestandards wäre eine solche Zusammenkunft völlig unmöglich. Es mag Haushalte geben, die über größere Räumlichkeiten verfügen. Für die Masse der Menschen wird die Beschränkung aber doch eine theoretische Frage bleiben. Gleiches gilt für die Gartenparty mit mehr als 50 Personen, insbesondere in der kalten Jahreszeit.

Nun zur Frage, warum die Einschränkung vorgenommen werden soll. Sie, Herr Dr. Birkner, haben hierzu vorgestern öffentlich angemerkt, es fehle an einer Begründung. Ich nehme an, sie meinen die formale Begründung der Verordnung. Die tatsächliche Begründung können Sie nicht gemeint haben. Denn die ist evident, also unmittelbar einleuchtend: „Private Feiern befeuern Infektionen.“

Ich zitiere aus nwzonline vom 6.10.2020 zum Corona-Geschehen in der Wesermarsch: „Landrat Thomas Brückmann hatte am Wochenende mitgeteilt, dass die neuesten Corona-Ausbrüche im Kreis überwiegend auf private Feierlich­keiten zurückzuführen sein:“

Ich zitiere aus butenunbinnen.de vom 20.09.2020: „Auch private Feiern mit vielen Teilnehmern, die ab Mitternacht nicht mehr erlaubt waren, flogen auf – und offensichtlich wussten die Gäste genau, dass sie die verschärften Regeln brachen.“

Ich zitiere Bild.de vom 6.10.2020: „Designfirma in Marburg schließt zwei Werke – 700 Mitarbeiter nach Privatfeier zum Corona-Test.“

Ich zitiere www.rnd.de vom 4 Oktober: „Illegale Partys sorgen für Anstieg der Infektionszahlen.“

Ich zitiere die Cellesche Zeitung vom heutigen Tage: „Den starken Anstieg am Freitag führt das Gesundheitsamt ausschließlich auf eine einzige Familie in der Stadt Celle zurück.“ Vorausgegangen war eine Familienfeier.

Ich könnte hier unendlich lange weitermachen. Aber ich denke, dass uns mittlerweile klar ist: Das Corona-Virus unterscheidet nicht zwischen privatem und öffentlichen Raum. Es ist überall dort unterwegs, wo sich Menschen begegnen. Somit auch im privaten Bereich. Und deswegen muss man auch für diesen Raum Regeln finden. Dies insbesondere deshalb, weil die Menschen verstärkt aus dem öffentlich reglementierten Raum in den privaten Raum ausweichen.

Nun zur Frage der Zulässigkeit: Eine Frage, die sich zu recht stellt. Denn die private Wohnung genießt den besonderen Schutz des Grund­gesetzes. Aber die private Wohnung ist kein rechtsfreier Raum. Grund­sätzlich bleibt das, was außerhalb dieser Wohnung nicht erlaubt ist, auch in der Wohnung verboten. Ich denke da nicht einmal an die ganz harten Sachen, wie Mord und Totschlag. Schon der Genuss zahlreicher Drogen ist in den eigenen Wänden ebenso wenig erlaubt, wie in der Öffentlich­keit. Das gilt für beispielsweise für die Verabreichung von Spirituosen an Minderjährige.

Die jetzt beabsichtigte Regulierung ist daher nicht systemwidrig. System­widrig war eher die bis heute andauernde Privilegierung privater Räume. Solcher Räume, in denen – ich betone es noch einmal – das Virus ebenso unterwegs ist, wie im öffentlichen Raum.

Zugegebenermaßen schwierig zu beantworten ist die letzte Frage. Die nach der Kontrolle. Ja, hier liegt in der Tat eine große Hürde. Artikel 13 unseres Grundgesetzes regelt sehr genau, unter welchen Bedingungen eine Wohnung durchsucht oder überwacht werden darf. Und in der Tat sind diese Möglichkeiten überaus eingeschränkt. Und sollen auch nicht erweitert werden.

Aber an dieser Stelle sollten wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringen. Die Erfahrung zeigt: Sind die Regeln klar definiert, ist es so, dass sich auch die meisten Betroffenen daran halten. Wer sich anders verhält muss folgendes wissen:

Der Ärger beginnt spätestens dann, wenn es schiefgeht. Wer die Regeln bricht und so zur Infektion seiner Gäste beiträgt, wird die Folgen spüren. Am Ende kommt immer alles heraus. Weswegen man manches von Anfang an bleiben lassen sollte.

Ich komme zum Schluss: Die jetzt vom Ministerpräsidenten vorgestellte neue Corona-Verordnung ist sachdienlich und in ihren Regelungen angemessen. Ich will aber auch eines an die Adresse des Kollegen Dr. Birkner sagen: Wenn diese Krise – der Ministerpräsident sprach von einem Albtraum – nicht bald zu Ende geht, werden wir über eine weiter­gehende Beteiligung des Landtags sprechen müssen. Schon in wenigen Wochen und auch ganz aktuell werden wir uns gemeinsam mit Fragen beschäftigen müssen, die in ihrer Grundrechtsrelevanz weit über die jetzt diskutierten Probleme hinausgehen. Sei es die Frage von weiteren Beschränkungen im Reiseverkehr, insbesondere im kleinen Grenz­verkehr mit den Niederlanden, oder aber die Frage von Einschränkungen der Religionsfreiheit im Rahmen von Weihnachtsgottesdiensten. Damit wir nicht nur immer von Weihnachtsmärkten reden.

Wenn das, was dann in unserer Corona-Verordnung formulieren, weiter breite gesellschaftliche Akzeptanz finden soll, bedarf es weiter des Zusammenspiels aller Demokraten. Solcher, die die Regierung stützen und solcher, die die Opposition bilden.

veröffentlicht am 07.10.2020