Rede des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, zu TOP 23 „Kinder auf allen Ebenen vor Missbrauch schützen – Täter konsequent bestrafen“ (Aktuelle Stunde)
– Es gilt das gesprochene Wort. –
„Ich weiß nicht, ob wir mit einer Aktuellen Stunde zum dunklen Kapitel Kindesmissbrauch viel bewirken können. Aber es ist das Schweigen, welchen den sexuellen Missbrauch von Kindern überhaupt möglich macht. Und daher müssen wir über dieses Thema reden.
Es sind dieser Tage vor allem zwei Ereignisse, die das Thema aktuell machen. Zum einen die erschütternden Ereignisse auf einem Campingplatz in Nordrhein-Westfalen. Zum anderen der Antimissbrauchsgipfel der katholischen Kirche, welcher vor wenigen Tagen in Rom stattgefunden hat. Beides höchst unterschiedliche Vorgänge. Die aber doch eines gemeinsam haben: Es geht um die Misshandlung der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Und es geht darum, wie eine Gesellschaft mit diesem Missbrauch umgeht.
Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist unentschuldbar. Und doch suchen diejenigen, die die Verantwortung tragen, stets nach dieser Entschuldigung. Dem Oberhaupt der katholischen Kirche gebührt Respekt dafür, dass der Missbrauch in den eigenen Reihen überhaupt benannt wird. Aber der Hinweis des Pontifex, „sexueller Missbrauch von Minderjährigen sei ein in allen Kulturen und Gesellschaften verbreitetes geschichtliches Phänomen“, der klingt dann doch ein wenig nach kollektiver Verantwortung. Und kollektive Verantwortung, wer wüsste es nicht, wird gern dort bemüht, wo individuelle Schuld verneint wird.
Ich jedenfalls bin froh, dass die katholische Kirche in Niedersachsen einen anderen, deutlicheren Weg gegangen ist. Und dass diese Landesregierung durchaus zu dieser Wegfindung beigetragen hat. Staatliche Gewalt und Einflussnahme setzen meist erst dann ein, wenn der Missbrauch stattgefunden hat. Es sind dann meist Strafverfolgungsbehörden, denen es obliegt, unfassbares Unrecht aufzuarbeiten. Und so zumindest für Abschreckung – und vielleicht auch ein wenig für Gerechtigkeit – zu sorgen.
Wir waren Ministerin Barbara Havliza daher ausgesprochen dankbar, dass sie es sich als erste Justizministerin bundesweit zur Aufgabe gemacht hat, die strafrechtliche Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs gemeinsam mit der katholischen Kirche – aber eben aus dem Selbstverständnis des demokratischen Rechtsstaates heraus – voranzutreiben. Und wir sind der Justizministerin auch dafür dankbar, dass sie zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran zugelassen hat, dass es Sache des Staates und eben nicht der Kirche ist, hier für Recht, aber eben auch für Strafe zu sorgen. Im Missbrauchsbericht der katholischen Bischofskonferenz sind auch niedersächsische Fälle genannt worden, von denen unsere Justiz noch gar keine Kenntnis hatte. Fälle, die ohne die ausbleibende Strafanzeige der Kirche nicht verfolgt werden konnten. Und deshalb war es richtig, dass Barbara Havliza mit Nachdruck Einsicht in die Kirchenakten verlangt hat. Damit unsere Justiz diese Straftaten verfolgen kann.
Das konsequente Vorgehen der Justizministerin hat hier auch Wirkung gezeigt. Bischof Dr. Willmer aus Hildesheim gilt zu Recht als einer der profiliertesten internen Kritiker der katholischen Kirche im Missbrauchsskandal. Sicher nicht nur – aber vielleicht auch – weil er die Landesregierung und die katholische Ministerin an seiner Seite weiß.
Ich will an dieser Stelle aber auch einige Worte zu dem Missbrauchsfall in Lügde sagen. Liest und hört man manches von dem, was im betroffenen Landkreis zur Rechtfertigung von möglichem Fehlverhalten erklärt wird, fragt man sich schon, ob alle Teile der Politik die Ernsthaftigkeit des Themas begriffen haben. Es gibt keinen absoluten Schutz vor sexuellem Missbrauch oder Missbrauchssituationen. Aber da, wo Schutzmechanismen versagt haben, muss dies offen und ehrlich eingestanden werden.
Es ist eben – hoffentlich – nicht normal, dass ein niedersächsisches Jugendamt ein sechsjähriges Mädchen auf einem Campingplatz unterbringt. Bei einem alleinstehenden 56-jährigen Pflegevater. Der dann des sexuellen Missbrauchs in einer Vielzahl von Fällen überführt wird. Weil es eben auf einem Campingplatz an der sozialen Kontrolle fehlt, die wir zu Recht zur Vermeidung von Missbrauchsfällen fordern. Und entsprechende Kritik kann und darf man nicht mit der Bemerkung abtun, „Missbrauch gebe es schließlich auch in Sakristeien und Einfamilienhäusern mit geharktem Vorgarten.“
Wer so argumentiert, flüchtet sich eben wieder in die kollektive Verantwortung. Und wird seiner eigenen Verantwortung als Landrat nicht gerecht. Um es an dieser Stelle auch zu sagen: Die Arbeit in unseren Jugendämtern ist keine einfache Aufgabe. Ich habe allerhöchsten Respekt vor den dort tätigen Beschäftigten. Allzu oft lädt unsere Gesellschaft ihre schwersten und dunkelsten Probleme gerade bei diesen Beschäftigten ab. Und ich weiß, dass sich viele in der Jugendhilfe Tätige immer wieder von der Politik allein gelassen fühlen.
Wer aber glaubt, den Betroffenen dadurch zu helfen, dass er die Fehlentwicklungen zur Normalität erklärt, der leistet der Arbeit in den Jugendämtern einen Bärendienst. Stattdessen müssen Fehlentwicklungen als solche benannt und abgestellt werden.