Rede des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU-Landtagsfraktion Jens Nacke zu TOP 16
– Es gilt das gesprochene Wort! –
Der Niedersächsische Landtag hat heute die Aufgabe, den 23. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Fehler der amtierenden Landesregierung bei der Bekämpfung des Islamismus auf eine verfassungsgemäße Grundlage zu stellen. Ein Vorgang, der bislang in diesem Landtag ohne Beispiel ist.
Am 04.05.2016 haben die Fraktionen von SPD und Grünen mit ihrer Einstimmenmehrheit gegen den ausdrücklichen Willen der Fraktionen von CDU und FDP den Untersuchungsauftrag, nach ihrem Gusto verändert. Unsere ausdrücklichen Warnungen, dass Ihnen ein solcher Beschluss nicht zusteht, haben Sie wissentlich und leichtfertig verworfen. Jede und jeder einzelne von Ihnen hat damit gegen die Verfassung verstoßen. Vom Ministerpräsidenten bis zum Nachrücker haben Sie mit Ihrer Stimme die Parlamentsregeln gebrochen und rechtswidrig die Opposition in diesem Haus in Ihren Rechten beschnitten. Uns blieb nur die Klage vor dem Staatsgerichtshof, um uns gegen Ihre Willkür zur Wehr zu setzen. Am 10.02.2017 hat der Staatsgerichtshof Ihren Verfassungsbruch festgestellt.
Es ist nicht das erste Mal, dass wir dieses erleben mussten. Vielmehr ist es der letzte traurige Höhepunkt in einer ganzen Kette von Verfassungsbrüchen, die auf Ihr rot-grünes Konto gehen:
Im Kalenderjahr 2013 hat sich die Regierung Weil verfassungswidrig geweigert, dem Landtag wichtige Akten zur Verfügung zu stellen, die der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Verfehlungen des vom Ministerpräsidenten entlassenen grünen Staatssekretär Udo Paschedag dringend benötigte. Abgeordnete der CDU Fraktion erhoben deswegen Klage vor dem Staatsgerichtshof.
Im Urteil vom 24. Oktober 2014 heißt es dazu: „Die Antragsgegnerin hat die Antragsteller in ihren Rechten aus Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung verletzt, soweit sie die Vorlage angeforderter Unterlagen verweigert“ und in der Urteilsbegründung „Die von der Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern geltend gemachten Gründe sind teilweise schon abstrakt nicht geeignet, eine Verweigerung der Aktenvorlage zu rechtfertigen.“
Im Kalenderjahr 2014 hat sich die Regierung Weil verfassungswidrig geweigert, im Rahmen der Aufarbeitung der schweren Kinderpornographievorwürfe gegen ihren Parteifreund und niedersächsischen Bundestagskollegen Sebastian Edathy erneut dringend benötigte Akten zur Verfügung zu stellen. Man dachte sich dazu lediglich eine andere Begründung aus. Abgeordnete der CDU-Fraktion erhoben deswegen Klage vor dem Staatsgerichtshof.
Am 09. Januar 2015 erging dazu folgende richterliche Verfügung an die Regierung Weil: „In dem Organstreitverfahren gegen die Niedersächsische Landesregierung wegen Verletzung des Rechts auf Aktenvorlage nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung (Aktenvorlage Edathy) bitte ich umgehend um Klarstellung, bezüglich welcher Akten bzw. Aktenteile die Landesregierung einräumt, dass die Vorlageverweigerung zum damaligen Zeitpunkt mit der damaligen Begründung verfassungswidrig war.“
Die Regierung Weil antwortete mit Schriftsatz vom 12. Januar 2015, unterschrieben vom Chef der Staatskanzlei, Herrn Staatssekretär Mielke: „Wegen des Rechts auf Aktenvorlage übersende ich in Beantwortung der richterlichen Verfügung eine Aktenliste, für die eingeräumt wird, dass die Vorlageverweigerung zum damaligen Zeitpunkt mit der damaligen Begründung verfassungsrechtlich unzureichend war. Dieses geschah wenige Tage vor der geplanten und bereits terminierten mündlichen Verhandlung. Die Akten wurden dann endlich zur Verfügung gestellt. Die Antragsteller haben daraufhin die Klage zurückgenommen.“
Im Kalenderjahr 2015 verweigerte die Regierung Weil ohne Begründung die fristgerechte Beantwortung von Fragen von Abgeordneten der CDU und ließ die schriftlichen Anfragen monatelang bis zu einem halben Jahr einfach liegen. Trauriger Spitzenreiter des Verfassungsbruchs war Innenmister Pistorius. Abgeordnete der CDU Fraktion erhoben deswegen exemplarisch in drei Fällen Klage vor dem Staatsgerichtshof.
Im Urteil vom 29. Januar 2016 heißt es dazu: „Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in deren Recht aus Art.24 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung dadurch verletzt, dass sie die kleinen Anfragen nicht unverzüglich beantwortet hat“ und in der Urteilsbegründung: „Bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage hat die Landesregierung ihre Pflichten zur zweckmäßigen Organisation des Beantwortungsvorganges und zur verfassungskonformen Prioritätensetzung verletzt.“
Und schließlich im Kalenderjahr 2016 beabsichtigten die Fraktionen von CDU und FDP den derzeit laufenden Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Terrorabwehr einzusetzen. Anders als vorher waren es aber diesmal alle Abgeordneten von SPD und Grünen, die sich für den Bruch der Verfassung entschieden. Auch hier haben Abgeordnete der CDU und der FDP Klage vor dem Staatsgerichtshof erhoben
Dazu heißt es im Urteil vom 10. Februar 2017: „Der Antragsgegner hat die Antragsteller in ihrem Recht aus Art.27 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung dadurch verletzt, dass er mit seinem Beschluss über die Einsetzung des 23. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss den Untersuchungsauftrag abweichend vom Einsetzungsantrag der Antragsteller ausgedehnt hat.“ Und weiter in der Begründung: „Die parlamentarische Minderheit darf bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse nicht auf das Wohlwollen der Parlamentsmehrheit angewiesen sein.“
Der Grundsatz der Gewaltenteilung im parlamentarischen Regierungssystem gewährleistet die praktische Ausübbarkeit der parlamentarischen Kontrolle gerade auch durch die parlamentarische Minderheit; es gilt der „Grundsatz effektiver Opposition“. Die Kontrollbefugnisse sind der parlamentarischen Minderheit nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern ist erster Linie im Interesse des demokratischen, gewaltengegliederten Staates – nämlich zur öffentlichen Kontrolle der von der Mehrheit gestützten Regierung und der ihr nachgeordneten Behörden – an die Hand gegeben.
Der kontinuierliche Verfassungsbruch, immer zu Lasten der Opposition zieht sich wie ein roter Faden durch die vier Jahre Ihrer Regierungszeit. Das hat es in der Geschichte des Landes noch nicht gegeben. Das muss Ihnen doch zu denken geben. Ich finde, Sie sollten sich schämen, daran mitgewirkt zu haben! Opposition und Regierung werden keine Freunde. Das liegt in der Natur der Sache. Wir denken: Das Land kann besser regiert werden. Das ist unsere feste Überzeugung, und deshalb müssen Sie da weg.
Sie glauben wahrscheinlich, dass Sie das alles ganz gut machen und sind deshalb von der Opposition und deren ständiger Kritik hochgradig genervt. Ich kann das verstehen, aber es kann nicht anders sein. Es ist unsere Aufgabe in diesem System. Wenn ein Regierungschef sagt: „Nichts gegen meine Opposition, die ist super!“ Dann hätte diese Opposition sicher ein großes Problem.
Ich kann verstehen, wenn Sie dafür kämpfen im Amt zu bleiben. Wer könnte das nicht. Was ich aber nicht verstehe ist, mit welcher Gedanken- oder auch Gnadenlosigkeit Ihnen dabei jedes Mittel recht ist. In Ihrem Bestreben, die Arbeit der Opposition zu erschweren, schrecken Sie vor Rechts- und Verfassungsbruch nicht zurück. Nicht einmal, nein mehrmals und immer wieder.
Das wirft aus meiner Sicht ein schreckliches Licht auf Ihre Regierung. Ja, es belegt sogar Ihre Regierungsunfähigkeit. Wie können Sie von nachgeordneten Mitarbeitern und von der Bevölkerung erwarten, sich an Recht und Gesetz zu halten, wenn Sie dazu keine Bereitschaft erkennen lassen?
Die Opposition hat eine wichtige, ja zentrale Aufgabe in der parlamentarischen Demokratie. Konrad Adenauer sagte in der 5. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20.09.1949: „Ich bin der Auffassung, dass die Opposition eine Staatsnotwendigkeit ist, dass sie eine staatspolitische Aufgabe zu erfüllen hat, dass nur dadurch, dass Regierungsmehrheit und Opposition einander gegenüber stehen ein wirklicher Fortschritt und eine Gewöhnung an demokratisches Denken zu erzielen ist.“
Ähnlich Kurt Schuhmacher 1950: „Das Wesen des Staates ist nicht die Regierung, und das Wesen des Staates ist nicht die Opposition. Das Wesen des Staates ist die Regierung und die Opposition.“ Diese beiden großen Männer der jungen Bundesrepublik schlagen damit einen großen Bogen zu Norbert Lammert, der bei der Eröffnung der 16. Sitzung des Deutschen Bundestages sagte: „Für die Arbeit wie für das Ansehen des Parlaments ist die Opposition im Übrigen nicht weniger wichtig als die Regierung. Regiert wird überall auf der Welt, von wem und unter welchen Bedingungen auch immer. Was ein politisches System als Demokratie qualifiziert, ist nicht die Existenz einer Regierung, sondern die Existenz eines Parlamentes und seine gefestigte Rolle im Verfassungsgefüge wie in der politischen Realität.“
Leider neigen Regierungsmitglieder manchmal dazu diese Punkte zu vergessen. Auch der Niedersächsische Ministerpräsident scheint davon nicht frei. Aber Opposition kann eben nur funktionieren, wenn sie feste Rechte hat. Minderheitenrechte eben. Eine Mehrheit in einem Parlament kann eben nicht machen, was sie will! Auch wenn ein SPD Kollege vor kurzem sehr freimütig einräumte, dass er genau das geglaubt hatte. Das gilt auch für das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Es ist kein Fehler, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Selbst dann nicht, wenn ein solcher Ausschuss für die Regierung Aufwand bedeutet. Es ist vielmehr unsere Pflicht.
Der Soziologe, Jurist und Sozialökonom Max Weber gilt nach einhelliger Meinung als der Vater des modernen Untersuchungsrechts. In seiner im Mai 1918 erschienen Broschüre „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und des Parteiwesens“ ging Webers Stoßrichtung ersichtlich dahin, dem Parlament, das bislang „verfassungsmäßig zu dilettantischer Dummheit“, „zur Unkenntnis“ verurteilt sei, ein politisches Gegengewicht gegen die Exekutive mit ihrem dank Dienstwissen und Amtsgeheimnis abgeschotteten Beamtenapparat („Beamtenherrschaft“) an die Hand zu geben – so Butzer in den Vorbemerkungen im Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages.
Man fühlt sich erinnert an die Aktenvorlage und die Beschränkungen von Aussagegenehmigungen in unserem PUA, die ebenfalls darauf zielen, Herrschaftswissen zu bewahren und die mindestens verfassungsrechtlich bedenklich sind, wie der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst im Ausschuss erläutert hat. Auch der wie ein Mantra wiederholte Vorwurf des Missbrauchs parlamentarischer Rechte durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geht schlicht fehl.
„Es ist nach heutiger Anschauung nicht illegitim, den Untersuchungsausschuss auch als ‚Waffe‘ der Opposition in Allianz mit der öffentlichen Meinung und den Medien gegen die Mehrheit zu nutzen“, so Geis im Handbuch des Staatsrechts.
Unser PUA hat ans Licht gebracht, was der Innenminister lieber geheim gehalten hätte. Die Arbeit der Parlamentarier führt offenkundig zu politischen Kurskorrekturen, zu denen Rot-Grün allein wohl nicht die Kraft gehabt hätte. Ich verweise da nur auf die gestrige Debatte und die entsprechende heutige Berichterstattung. Dazu bedürfte es des öffentlichen Drucks!
Ich kann daher nicht verstehen, wieso Sie bereits in Ihren Reden zur Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses dieses Parlamentarische Mittel verwerfen. Max Weber konnte 1918 schließlich anknüpfen an viele Bemühungen in den Deutschen Einzelstaaten, bei denen auch und gerade Sozialdemokraten für diese Rechte gekämpft haben. Beispielhaft seien hier die letztlich erfolglosen Versuche von Ignaz Auer und seinen Mitstreitern im preußischen Reichstag von 1891 bis 1913 genannt, nachzulesen in den Reichstagsverhandlungen unter dem Stichwort Auer und Genossen. Auers Arbeit wurde später durch die Sozialistengesetze eingeschränkt und er floh, man höre und staune nach Bayern.
Ich könnte weitere Beispiele nennen. Vielleicht reden Sie mal mit Ihrer ehemaligen Kollegin Dr. Heike Bockmann, die genau zu diesem Thema promoviert hat. Ich finde in diese sozialdemokratische Tradition passen Ihre verächtlichen Reden über dieses wichtige Oppositionsrecht einfach nicht hinein.
Ich habe daher eine Bitte: Nutzen Sie das Urteil des Staatsgerichtshofes, nutzen Sie diese Debatte als eine Zäsur. Herr Minister Pistorius, legen Sie Ihre Strategie ab, diesen Untersuchungsausschuss zu behindern, anstatt ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. Wenn Sie wirklich davon überzeugt sind, dass Sie sich nichts vorwerfen müssen, dann kämpfen Sie doch offen und selbstbewusst für Ihre Positionen anstatt auf Tricksereien zu setzen, damit sich der Wähler ein Urteil bilden kann.
Der Anschlag von Safia S. auf dem Hauptbahnhof liegt über ein Jahr zurück. Der Tag, an dem wir zum ersten Mal die Akten angefordert haben, jährt sich demnächst. Wem wollen Sie ernsthaft weißmachen, dass es über ein Jahr dauert, diese Akten vorzulegen. Überdenken Sie Ihre Aussagegenehmigungen. Noch nie hat es in Niedersachsen eine Landesregierung gegeben, die Beamten in einem Untersuchungsausschuss derart restriktive Beschränkungen auferlegt hat. Das wirft kein gutes Licht auf Ihre Arbeit.
Dieser Untersuchungsausschuss leistet eine gute Arbeit. Er hat vieles zutage gebracht und er wird noch weitere Erkenntnisse bringen. Das lässt sich schon jetzt erahnen. Er wird dieses tun, unabhängig davon, ob die Regierung ihn unterstützt oder ob sie ihn torpediert und unabhängig davon, ob SPD und Grüne sich einbringen oder nicht.
Ein Untersuchungsausschuss ist Mittel der Opposition. Das hat das Verfassungsgericht den Fraktionen von SPD und Grünen noch einmal deutlich ins Stammbuch geschrieben. Er soll seine Arbeit nun zügig fortsetzen können.