Rede des CDU-Landtagsabgeordneten Volker Meyer zu Top 52 „Allgemeinheit vor kranken Straftätern besserschützen- Maßregelvollzug weiterentwickeln und sicherer machen

– Es gilt das gesprochene Wort –

Schauen wir uns zunächst Paragraf 2 des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes an, der sich mit den Zielen einer Unterbringung nach den Paragrafen 63 und 64 Strafgesetzbuch befasst. Dort heißt es: „Ziel einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist es, die untergebrachte Person soweit wie möglich zu heilen oder ihren Zustand so weit zu bessern, dass sie nicht mehr gefährlich ist. Ziel einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist es, die untergebrachte Person von ihrem Hang zu heilen und die zugrundeliegende Fehlhaltung zu beheben.“

Bei dieser Definition wird bereits das erste Problem des Umgangs der Regierungsfraktionen und der Landesregierung mit den in den entsprechenden Einrichtungen untergebrachten Personen deutlich. Während wir diesen Personenkreis als Straftäter einstufen und entsprechende Sicherungsmaßnamen fordern, sehen SPD und Grüne sowie die Landesregierung in diesem Personenkreis Patienten, die keiner besonderen Sicherungsmaßnahmen bedürfen. Und genau mit dieser Fehleinschätzung gefährden sie die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Niedersachsens.

Immer wieder gelingt gefährlichen Straftätern, die wegen psychischer Erkrankungen oder Alkohol- und Drogenmissbrauch in niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen untergebracht sind, die Flucht. Andere begehen während genehmigter Vollzugslockerungen erneut Straftaten. Das Spektrum umfasst dabei Raubüberfälle, Sexualstraftaten, versuchte Tötung oder gar Mord. Auffällig ist dabei, dass die Straftäter häufig während begleiteter Ausführungen einfach weglaufen und vom Personal nicht eingeholt werden können. Auch erweisen sich die den Vollzugslockerungen zugrunde liegenden Prognosen zum Teil als Fehleinschätzungen.

Hinzu kommt die absolut unbefriedigende Situation des so genannten 64er Tourismus, nämlich dass alle alkohol- und drogenabhängigen Straftäter, die sich in einer Maßregelvollzugseinrichtung als therapieunwillig und therapieunfähig erweisen, vom Gericht einfach in eine andere Maßregelvollzugseinrichtung eingewiesen werden, anstatt die Verbüßung der Strafe im Justizvollzug anzuordnen.

Dass es bei allen Überlegungen und allen Maßnahmen keine 100-prozentige Sicherheit geben wird, darin sind wir uns, so glaube ich zumindest, einig. Aber schon bei der Prioritätensetzung, der Beachtung des Schutzes der Allgemeinheit in Abwägung mit den Interessen des Straftäters, trifft Ministerin Rundt falsche oder gar keine Entscheidungen. Zur richtigen Anwendung der Instrumentarien Freiheit und Lockerung äußert sich die Sozialministerin überhaupt nicht. Dies grenzt an Arbeitsverweigerung.

Die Folgen hierfür mussten einige Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen zwei Jahren mehrfach leidvoll erfahren. Man erinnert sich noch gut an die spektakulären Ausbrüche aus 2014. Da gelang einem verurteilten Schwerverbrecher aus dem Maßregelvollzug in Moringen die Flucht mit einem Bettlaken. Hier gab es bei der Unterrichtung im Sozialausschuss sogar noch anerkennende Worte des Staatssekretärs für diese akrobatische Meisterleistung.

Oder die fünf Straftäter aus dem Maßregelvollzug in Brauel, die dem Personal einfach die Schlüssel abnahmen und sich damit aus dem gesicherten Bereich nach draußen durchschließen konnten. Ebenfalls aus Brauel geflohen ist 2014 ein Straftäter, der auf seiner Flucht mehrere Überfälle auf Supermärkte verübt hat und erst nach über einem Monat wieder festgenommen werden konnte. Als Reaktion auf diese Fälle ist außer Ankündigungen offenbar nichts passiert. Denn auch 2015 gelang mehreren Straftätern die Flucht, häufig durch einfaches Weglaufen.

Und auch 2016 geht es so weiter:

  • April 2016: Ein Sexualstraftäter aus dem Maßregelvollzug in Rehburg tötet vermutlich während eines Freigangs im September 2015 eine 23-Jährige im Klosterwald Loccum. Der mutmaßliche Täter hat danach weitere unbegleitete Ausgänge erhalten und wird erst rund ein halbes Jahr nach der Tat festgenommen.
  • Mai 2016: Ein wegen schweren Raubes verurteilter Straftäter aus dem offenen Maßregelvollzug sticht eine 73 Jahre alte Frau in Wunstorf nieder.
  • Mai 2016: Ein 39-jähriger Mörder läuft einfach weg, nachdem er von einer ambulanten Therapie zurück nach Moringen gebracht werden soll.
  • Mai 2016: Ein wegen schweren Raubes verurteilter Straftäter läuft auf dem Gelände des AMEOS-Klinikums in Hildesheim weg, nachdem er erfahren hat, dass er wieder zurück in den Strafvollzug soll.

Dank des hervorragenden Einsatzes der Polizei konnten diese Straftäter mittlerweile alle wieder festgenommen werden. Hierfür ein herzliches Dankeschön.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, was macht Ministerin Rundt? Sie schaut diesen Entwicklungen seit Monaten bis zum Dienstag dieser Woche fast tatenlos zu. Wie es der NDR einmal formulierte: Die Ministerin versucht, die bestehenden Probleme wegzulächeln. Nein Frau Ministerin, lächeln reicht nicht aus, Taten und Veränderungen sind angesagt. Aber außer viel zu späten Ankündigungen ist bei Ihnen, wie bereits eben gesagt, fast nichts passiert. Und genau diese Untätigkeit und vor allem Ihr Umgang mit den berechtigten Sorgen der Bevölkerung sind es, die uns zu dem Schluss kommen lassen, dass Sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Die Situation im Maßregelvollzug bewegt doch aktuell nicht nur die Politik, sondern vor allem die breite Öffentlichkeit!

Dass der Sozialausschuss über die jüngsten Vorfälle immer nur hinter verschlossenen Türen unterrichtet wurde, ist äußerst unbefriedigend. Transparenz und Offenheit sind für diese Sozialministerin offensichtlich Fremdworte. Auch dass Sie, Frau Ministerin, es bei jeder Unterrichtung verweigert haben, selbst vor den Ausschuss zu treten, ist bezeichnend dafür, welchen Stellenwert Sie dem Thema beimessen. Und Ihre verharmlosenden Worte bei der Kommentierung der Vorkommnisse zeigen deutlich: Sie sind mit der Situation vollkommen überfordert. Es darf schlicht nicht sein, dass eine Sozialministerin bei einem geflüchteten Mörder von einem „ausgebüxten Patienten“ spricht und die Öffentlichkeit erst auf Nachfrage in der Landespressekonferenz erfährt, dass es sich bei eben jenem „ausgebüxten Patienten“ um einen Mörder handelt – versehen mit dem Hinweis, „der sei aber nicht gefährlich“. Das, Frau Ministerin, ist jedoch dem Niedersächsischen Maßregelvollzug überhaupt nicht angemessen.

Bereits im Zuge der Novellierung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes im März 2015 haben wir für die Aufnahme von baulichen und fachlichen Standards sowie der elektronischen Fußfessel ins Maßregelvollzugsgesetz plädiert. Weiterhin hatten wir in der Drucksache 17/3762 gefordert, die Maßregelvollzugseinrichtungen zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zu ermächtigen, wie dies in 11 von 16 Bundesländern bereits möglich ist. Das wurde von den Regierungsfraktionen und von Frau Ministerin als viel zu weitgehend abgelehnt. Uns wurde sowohl im Ausschuss als auch im Plenum vorgeworfen, „wir hätten den Schuss nicht gehört“ und wir würden die sogenannten Patienten wie Straftäter behandeln. Genauso ist es, es sind gefährliche Straftäter, vor denen die Allgemeinheit geschützt werden muss. Auch hier schätzen die linke Seite dieses Hauses und die Ministerin die Lage zu Lasten der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger völlig falsch ein.

Dass das aber bei ihnen System hat, wird auch an unserem Entschließungsantrag zum Ausbau der Angebote von ambulanten Psychotherapiemöglichkeiten für Sexualstraftäter deutlich, der in diesen Themenbereich mit hinein passt. Trotz aller von unserer Seite vorgebrachten Argumente wurde gerade von der SPD immer wieder geäußert, es sei alles in bester Ordnung, es brauche keine Veränderungen zu geben und es wurde dieser Antrag in der Ausschussberatung von den Regierungsfraktionen abgelehnt. Ich freue mich, dass es jetzt endlich erste Signale gibt, dass sie dieses Votum wohl nochmal überdenken und wir hierüber noch mal sprechen wollen.

Mit der Zustimmung zu unserem heute eingebrachten Entschließungsantrag haben sie erneut die Chance, ihre Fehleinschätzungen zu korrigieren. Einiges haben Sie ja bereits eingeräumt und – transparent wie immer – gegenüber der Presse schon entsprechende Änderungen angekündigt, wie das Parlament am Dienstag aus der Zeitung erfahren durfte.

Für einen Neuanfang im Niedersächsischen Maßregelvollzug fordern wir:

  1. Die Unterbringung der Verurteilten nicht vorrangig nach der örtlichen Zuständigkeit vorzunehmen, sondern nach der Gefährlichkeit und der Fluchtwahrscheinlichkeit.
  2. Die Zustimmung der Vollstreckungsbehörden bei jeder Genehmigung von Vollzugslockerungen und die Ansiedlung der Zuständigkeit dieser Behörden in räumlicher Nähe zu den Maßregelvollzugseinrichtungen. Mit ihrem Vorschlag eines juristischen Kompetenzzentrums am Maßregelvollzugszentrum in Moringen machen sie sich auf den Weg in diese Richtung. Das von ihnen vorgelegte Konzept ist aus unserer Sicht aber unzureichend, es muss sich auf alle Maßregelvollzugseinrichtungen beziehen, in denen gefährliche Straftäter untergebracht werden.
  3. Sobald eine Maßregel wegen Therapieunfähigkeit oder Therapieunwilligkeit für erledigt erklärt wird, darf keine erneute Einweisung in eine andere Klinik erfolgen, sondern die Reststrafe ist im Justizvollzug zu verbüßen und alle Lockerungen sind sofort zu beenden. Dieses Erfordernis scheint Ministerin Rundt mittlerweile auch zu sehen.
  4. Bevor ein Prognoseteam eine gemeinsame Stellungnahme abgibt, sollten zunächst die Mitglieder des Prognoseteams einzelne Stellungnahmen abgeben, die anschließend im Team beraten werden und in eine gemeinsame Stellungnahme einfließen. Zu dem Thema Begutachtung von Frau Ministerin kein Wort.
  5. Die Möglichkeit des Einsatzes von elektronischen Fußfesseln zur Überwachung von Straftätern bei unbegleiteten Ausgängen. Gerade an diesem Punkt wird deutlich, dass Ministerin Rundt mit ihrem absurden Vorschlag anstelle einer elektronischen Fußfessel dem Straftäter bei einer Vollzugslockerung doch ein Handy mitzugeben, nach wie vor eine falsche Güterabwägung zugunsten der Straftäter im Maßregelvollzug und gegen die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger trifft. Ich zitiere: „Der Straftäter soll seinen Betreuer anrufen können, wenn das Erleben der Welt außerhalb der Klinik zu Krisen führe könne“ – so ist es in der NOZ vom 7.6.2016 zu lesen. Und was ist, wenn der Betreuer den Straftäter anruft und der geht nicht ran? Geht der Betreuer dann davon aus, dass alles in Ordnung ist? Vielleicht hat er ja gerade kein Netz? Möglich wäre es natürlich auch, dass er das Handy ausgeschaltet oder weggeworfen hat. Und nun? Abwarten bis er sich meldet oder doch besser die Fahndung einleiten? Und wenn es nun kein aktuelles Fahndungsfoto gibt, weil die letzte erkennungsdienstliche Behandlung durch die Polizei bereits Jahre zurückliegt?

Um diese Situation zu vermeiden, fordern wir:

  1. Die Ermächtigung zur Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Niedersächsischen Maßregelvollzug, damit für eine eventuelle Fahndung äußerliche Veränderungen, die sich erst im Maßregelvollzug ergeben, erfasst werden können. Auch hierzu von ihnen bislang kein Wort.

Und schließlich fordern wir:

  1. Sich auf Bundesebene für eine Reform der Paragrafen 63 und 64 StGB einzusetzen mit dem Ziel, bei der Differenzierung zwischen den beiden Unterbringungsarten dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in den Maßregelvollzugseinrichtungen inzwischen sowohl Persönlichkeitsgestörte mit Suchtproblematik als auch Suchtmittelabhängige mit Persönlichkeitsstörung untergebracht sind und dadurch eine adäquate Therapie immer schwieriger wird.

Die von mir gemachten Ausführungen und die eben genannten Vorschläge für die Weiterentwicklung des Niedersächsischen Maßregelvollzugs machen deutlich, dass es sich um ein sehr komplexes System handelt. Hier kann man nicht mal eben mit zwei, drei Ankündigungen oder der Vereinbarung einer freiwilligen Mitnahme eines Handys zu einem Neuanfang kommen. Dazu gehört deutlich mehr. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser.

Daher, Herr Ministerpräsident, auch eine Bitte an Sie: Geben sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Niedersächsischen Maßregelvollzug, die eine äußerst schwere Aufgabe zu bewältigen haben und diese mit großer Bravour erfüllen, durch mehr Kontrolle bei Lockerungen die Chance, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Niedersächsischen Maßregelvollzug zurückzugewinnen.

veröffentlicht am 10.06.2016