Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion Reinhold Hilbers zu TOP 4 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015)“ und Top 5 „Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes zum zweiten Nachtragshaushalt des Haushaltsjahres 2015“
– Es gilt das gesprochene Wort –
Wir beraten heute abschließend über den zweiten Nachtragshaushalt 2015.
Und wie schon beim ersten Nachtragshaushalt, so ist auch dieser Gesetzentwurf kein Ausweis politischer Weitsicht.
Im Gegenteil: Allzu lange haben die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen. Angesichts der Flüchtlingskrise ist es ohne Frage gut und notwendig, im Haushalt weitere Mittel bereitzustellen.
Aufgrund der immer noch außerordentlich günstigen Rahmenbedingungen mit Rekordsteuereinnahmen von fast 23,5 Milliarden Euro, einem historisch niedrigen Zinsniveau und einem von der CDU-geführten Landesregierung geerbten Rücklagenpolster von über einer halben Milliarde Euro hat Rot-Grün ungeahnte finanzielle Möglichkeiten, um Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise ohne zusätzliche Schulden zu finanzieren. Sie haben einfach Glück! Was haben Sie am Anfang Ihrer Regierungszeit gezetert über angebliche Haushaltslöcher und zu optimistische Planungen. Alles nur Ablenkungsmanöver. Ihnen fallen diese finanziellen Handlungsspielräume in den Schoß. Geleistet haben Sie dafür gar nichts – noch nicht einmal eine ordentliche Aufgabenkritik ist Ihnen in zweieinhalb Jahren Regierungszeit gelungen. Sie improvisieren überall nur, ohne dass durchdachte Konzepte oder eine Richtung erkennbar sind.
Aber Sie müssen auch endlich einmal raus aus diesem ständigen Reparaturmodus! Der Nachtrag kommt viel zu spät. Im November – kurz vor Jahresende mit hektischen Beratungen in den Ausschüssen – müssen Sie hier noch einen Nachtrag durch das Parlament bringen. Viele Maßnahmen hätten Sie bereits im Juli haben können oder besser gesagt, umsetzen müssen. Der Nachtrag ist halbherzig – und an vielen Stellen immer noch zu kurz gesprungen.
Der Nachtrag kommt nicht aus Überzeugung sondern auf Druck: Sie – Herr Weil und Herr Schneider – legen diesen Nachtragshaushalt nicht freiwillig vor.
Es war wieder einmal der politische und öffentliche Druck, der Sie dazu bewogen hat. Ich erinnere an die NSTGB-Versammlung der Bürgermeister in Walsrode: Der Druck wurde immer größer – dann plötzlich haben Sie den Kommunen zugesagt, für Abhilfe zu sorgen.
Das, was Sie jetzt machen ist nicht grundsätzlich falsch. Die Richtung stimmt. Daher stehen wir dem auch nicht im Wege. Denn auch wir wollen, dass die Kommunen entlastet werden. Denn auch wir wollen, dass es mehr Sprachförderung gibt. Denn auch wir wollen, dass den Ehrenamtlichen Unterstützung zukommt. Das alles haben wir bereits im Dezember letzten Jahres für den Haushalt gefordert beziehungsweise im Juli für den ersten Nachtragshaushalt.
Die Kommunen tragen derzeit die Hauptlast bei der Unterbringung von Asylbewerbern. Die Kommunalen Spitzenverbände rechnen 2015 mit jahresdurchschnittlich 55.000 Flüchtlingen, die sie unterbringen und versorgen müssen. Multipliziert mit den Kosten von 10.000 Euro pro Flüchtling bedeutet das eine Kostenbelastung von 550 Millionen Euro in 2015.
Im Ursprungshaushalt 2015 waren nur 158 Millionen Euro für die Kommunen etatisiert. Im ersten Nachtrag hat Rot-Grün dann 80 Millionen Euro, davon die Hälfte aus Bundesmittel, draufgelegt. Wir hatten bereits zum ersten Nachtragshaushalt zusätzliche Mittel für die Kommunen in Höhe von 127 Millionen Euro statt ihren 80 Millionen Euro gefordert. Immerhin geht Ihre Nachsteuerung mit dem zweiten Nachtragshaushalt in die richtige Richtung.
Entschieden zu kurz springen Sie bei der Weiterleitung der zusätzlichen Bundesmittel für 2015 in Höhe von 90 Millionen Euro. Die kommunalen Spitzenverbände fordern vollkommen zu Recht, dass diese Bundesmittel komplett an die Kommunen durchgeleitet werden müssen. Genau das greifen wir mit unserem Änderungsantrag auf. Das würde für die Kommunen in Niedersachsen ein Plus von rund 90 Millionen Euro bedeuten. Das ist Geld des Bundes in und für 2015. Daher sollte Sie es auch vollständig weitergeleiten – und nicht mit klebrigen Fingern 15 Prozent einbehalten und den Rest nur als Vorschuss auf 2016 auszahlen. Dabei dürfen die Gelder nicht auf die Zahlungen angerechnet werden, die den Kommunen für 2016 zustehen.
Das wäre ein starkes Signal für die Bürgermeister und Landräte. Es wäre zugleich auch eine Anerkennung der Leistung vieler Mitarbeiter in den Kommunalverwaltungen, die mit immer kürzeren Vorlaufzeiten immer mehr Kapazitäten für die neu ankommenden Flüchtlinge zur Verfügung stellen müssen! Die Kommunen brauchen Verlässlichkeit. Sie müssen wissen, was aus dem Asylkompromiss kommt – mit welchem Ausgleich sie rechnen können. Sie benutzen die Kommunen als Reservekasse! Wir fordern daher in unserem Konzept, dass die CDU-Fraktion Ihnen zur Abstimmung vorlegt, den Kommunen die vollen 90 Millionen Euro auszuzahlen – und zwar nicht als Vorschuss oder Abschlag.
Die CDU-Fraktion hatte Ihnen, Herr Weil, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung ein faires Angebot gemacht: Uns ging es darum, gemeinsam mit der Landesregierung ein starkes Signal zu setzen, dass wir die Probleme in Niedersachsen gemeinsam angehen. Dafür waren wir bereit, Kompromisse einzugehen. Gleichzeitig haben wir aber auch erwartet, dass einige unserer Kernforderungen Beachtung finden. Dazu gehört neben den dringend notwendigen Entlastung der Polizei auch die kurzfristige Personalaufstockung im Innenbereich. Die beiden Koalitionsfraktionen sahen sich nun nach langer Diskussion endlich dazu in der Lage. Noch im September haben Sie auf die große Anfrage geantwortet, dass es bei der Polizei keine zusätzlichen Mittel geben würde. Auch hier hat unser Druck Wirkung gezeigt, auch hier haben wir Sie bewegen müssen. Diese Forderungen sind deshalb Teil eines gemeinsamen Änderungsantrags, den wir heute vorlegen.
An Hilferufen aus der Polizei herrscht kein Mangel. Nur zwei Beispiele:
a.) BILD Hannover vom 20.07.2015:
Dietmar Schilff, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sieht viele Dienststellen am Ende ihrer Kräfte: „Die Belastungsgrenze ist erreicht!“ (..) Aufnahmelager sind überfüllt. Städte wissen nicht mehr, wo sie Flüchtlinge einquartieren sollen. Auch die Polizei sei immer häufiger durch Einsätze gebunden, sagt Schilff: Er fordert deshalb dringend neue Stellen!
b.) NDR online vom 7.10.2015:
Die Zusammenstöße in Flüchtlingsunterkünften hätten zugenommen, sagt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Thomas Kliewer. „Die Polizei ist dadurch extrem belastet, teilweise überlastet.“ Zum eigenen Schutz würden die Beamten mit mehr Personal ausrücken; oft 20 bis 25 Streifenwagen. Diese Einsatzkräfte fehlten dann aber bei der Bekämpfung der Alltagskriminalität – etwa bei Ermittlungen zu Diebstählen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als angemessen, wenn der Landtag als Gesetzgeber im zweiten Nachtragshaushalt vier Millionen Euro für Personal zur dringenden Entlastung der Polizei bereitstellt. Damit wird zunächst ein Zeichen gesetzt, in dem die vielen Überstunden – statistisch 80 Stunden bei jedem Polizeibeamten – teilweise finanziell ausgeglichen werden!
Die Menschen erwarten vom Staat zu Recht, dass er Sicherheit und Schutz der Menschen innerhalb und außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen garantiert. Wir müssen die Polizei deshalb auch in die Lage versetzen, diese zusätzlichen Aufgaben auch einigermaßen schultern zu können!
Es gibt einen weiteren Punkt, der deutlich macht, dass auch dieser zweite Nachtragshaushalt nicht einmal die Funktion eines guten Reparaturbetriebs erfüllt: Das ist der Bereich der Sprachförderung für Flüchtlingskinder. Diese Landesregierung hat die Zahl der Flüchtlingskinder mit Sprachförderbedarf an den niedersächsischen Schulen völlig unterschätzt.
Noch Anfang September hat Ministerpräsident Weil von 6.200 schulpflichtigen Flüchtlingskindern gesprochen. Kurze Zeit später musste die Kultusministerin zugeben, dass rund 33.000 Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen unsere Schulen besuchen. Darunter sind rund 9.000 Kinder, die selbst in ihrer Muttersprache Analphabeten sind.
Ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass meine Fraktion bereits im Herbst 2014 gefordert hat, die Mittel für die Sprachförderung erheblich aufzustocken.
Rot-Grün aber hat sich zu lange gegen mehr Sprachförderung gewehrt. Viele Schulen sind nun überfordert. Sie müssen jetzt improvisieren und den Mangel verwalten.
Was das heißt, war zum Beispiel am 25. September 2015 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nachzulesen. Dort wird über die Situation in der Landeshauptstadt unter anderem Folgendes berichtet:
„Schulleiter beklagen, dass die Zahl der Sprachlernklassen nicht ausreicht. (…) Wie jetzt bekannt wurde, sitzen allein an der IGS Vahrenheide-Sahlkamp 35 Schüler ohne Deutschkenntnisse im Unterricht.“
Der Schulleiter beklagt sich in dem Artikel darüber, dass die Schulen mit dem Problem alleingelassen würden: „Keiner hat eine Lösung, und das Lehrerkollegium muss es ausbaden.““
Die Herausforderung ist so groß, dass ein ‚Weiter so‘ bei der Sprachförderung mit ein paar zusätzlichen Lehrerstunden pro Schule keine Option ist. Doch genau das ist vorgesehen: Bei einer Vervierfachung der Schülerzahlen von 10.000 auf möglicherweise 40.000 noch in diesem Jahr will das Kultusministerium nur 25 Prozent mehr Lehrerstunden als Förderung geben.Dabei könnten Sie das mit einfacher Dreisatzrechnung lösen: Ihren Dreisatz verstehe ich allerdings nicht.
Was Sie da vorschlagen, reicht vorne und hinten nicht! Ihre Flickschusterei im zweiten Nachtragshaushalt wird hier kaum für Entlastung sorgen. Wir fordern deshalb, zum 1. November 2015 noch einmal 1.000 zusätzliche Lehrerstellen für zusätzliche Sprachlernklassen an niedersächsischen Schulen bereitzustellen. Dafür wollen wir neun Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.
Und wer sagt, wir brauchen gar keine Sprachlernklassen, denn das funktioniere in den Schulen alles schon irgendwie nebenbei, mit ein paar Förderstunden pro Schüler, der hat den Wissenschaftlern nicht zugehört.
Ich zitiere aus einem Interview in der „Neuen Presse“ vom 1. Oktober 2015 mit Frau Professor Dr. Elke Montanari von der Stiftung Universität Hildesheim: Sie ist Professorin für Deutsch als Zweitsprache und Mitglied des Zentrums für Bildungsintegration. Auf die Frage, ob man mit reinen Sprachlernklassen nicht Parallelstrukturen aufbaue, antwortete Frau Professor Dr. Montanari:
„Ich habe mehrere Jugendliche kennengelernt, die mir gesagt haben: „In der Sprachlernklasse ging es mit dem Deutschlernen erst richtig voran.““
Es ist von daher wirklich nicht zu verstehen, warum sich die Kultusministerin so sehr gegen die Einrichtung von mehr Sprachlernklassen wehrt. Der einzige Grund ist, dass sie verdecken will, dass es sowieso schon einen Lehrermangel in Niedersachsen gibt, den sie selbst verschuldet hat!
Die aktuelle Flüchtlingssituation erfordert nicht nur einen nationalen Kraftakt. Notwendig ist auch auf Landesebene die Bereitschaft, für diese Aufgabe Ressourcen freizusetzen, Prioritäten neu zu ordnen. Leider haben Sie nur wenige unserer Vorschläge angenommen. Die Annahme einer ausgestreckten Hand sieht anders aus.
Zumal unsere Vorschläge durch geringere Zinsausgaben aufgrund des aktuell niedrigen Zinsniveaus voll gegenfinanziert sind. Als Konsequenz stellen wir heute unsere Änderungsanträge namentlich zur Abstimmung. Wir wollen sicherstellen, dass jeder Abgeordnete der Koalitionsfraktionen Farbe bekennt. Denn sie sind es am Ende, die sich in ihren Wahlkreisen dann rechtfertigen müssen, weshalb sie die teils unhaltbaren Zustände in den Notunterkünften und Schulen einfach so klaglos hinnehmen. Aus dieser Pflicht können wir Sie nicht entlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnisgrünen!
Wir hatten Ihnen klar und deutlich signalisiert, dass wir unter bestimmten Bedingungen bereit wären, den zweiten Nachtragshaushalt mitzutragen. Das werden wir auch tun – trotz erheblicher Bedenken
Sie haben sich wegen der Flüchtlingskrise und wegen Volkswagen entschlossen, die Südafrikareise abzusagen. Es gibt tatsächlich eine Menge Rede- und Klärungsbedarf. Und es wäre in beiden Fällen ein Ausweis staatspolitischer Klugheit, die ausgestreckte Hand zu ergreifen und die größte Oppositionsfraktion bei diesen wichtigen Themen endlich mit ins Boot zu holen!
Legen Sie uns und den Kommunen, den Menschen die sich ehrenamtlich und in den Hilfsorganisationen um die Flüchtlinge kümmern, ein Zahlenwerk für 2016 vor, damit Planungssicherheit herrscht. Warten Sie damit nicht wieder bis zum letztmöglichen Termin. Wir fordern von Ihnen, dass Sie, Herr Weil, dafür Sorge tragen, dass es zügig und umfassend eine Nachbesserung Ihrer Zahlen für 2016 geben wird. Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels und die neusten Prognosen und Ihre Reaktion darauf sind uns umfassend vorzulegen.
Fangen Sie an, auch finanzpolitisch eine Strategie für die Herausforderungen, die in der Flüchtlingspolitik für uns liegen, zu entwickeln. Kommen Sie endlich raus aus dem Krisen- und Interventionsmechanismus.