Rede des stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Dirk Toepffer Erwiderung auf die „Unterrichtung des Niedersächsischen Landtages über die Krise bei der Volkswagen AG im Zusammenhang mit der Manipulation von Diesel-Abgaswerten“
– Es gilt das gesprochene Wort –
Die Bedeutung des VW-Konzerns und seiner Zulieferer für das Land Niedersachsen muss hier nicht weiter erörtert werden. In diesem Punkt herrscht zwischen uns völlige Einigkeit. Diese besondere Bedeutung war auch der Grund, weshalb wir eigentlich eine Regierungserklärung zum Thema erwartet hatten. Und obwohl eine solche Regierungserklärung sicherlich angemessen gewesen wäre, freuen wir uns, dass es nun wenigstens zu einer Unterrichtung des Parlaments gereicht hat. Nach drei Jahren der parlamentarischen Zusammenarbeit mit dieser Regierung wird man ja ein Stück weit bescheiden.
Nun gestehe ich zu, dass es für Sie auch nicht ganz einfach ist. Als Mitglieder der Landesregierung sind Sie, Herr Ministerpräsident ebenso wie Ihr Wirtschaftsminister verpflichtet, dieses Parlament über alle Fakten zu informieren. Als Mitglieder des Aufsichtsrates trifft Sie hingegen die außergewöhnlich streng codierte Schweigepflicht des deutschen Aktiengesetzes. Herr Minister Lies hat freundlicherweise dennoch im Wirtschaftsausschuss versucht, uns trotz dieser teilweise geradezu absurd anmutenden Restriktionen sachkundig zu machen.
Bevor ich an dieser Stelle zu einem weiteren Spannungsverhältnis ausführe, möchte ich eines mit aller Deutlichkeit klarstellen: Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass Sie Herr Ministerpräsident ebenso wie Ihr Wirtschaftsminister erst Mitte September 2015 von den fraglichen Manipulationen Kenntnis erlangt haben. Aber ich will eines ebenfalls klarstellen: Dies war einer der Fehler im System. Der Aufsichtsrat des Unternehmens hätte zumindest von den Ermittlungen der US-Behörden viel, viel früher erfahren müssen. Warum diese Informationen nicht an das Aufsichtsgremium gelangt sind, ist eine der Fragen, die noch beantwortet werden müssen. Solche Systemfehler künftig zu vermeiden, ist das Ziel unserer Fragen.
In diesem Zusammenhang stellt sich aber nicht nur die Frage, nach einer fehlerhaften Überwachungsorganisation. Unabhängig davon, dass hier niemand die Mitglieder der Landesregierung für den Abgasbetrug verantwortlich machen und eine „neue Front eröffnen“ will: Sollte der Verdacht entstehen, dass einzelne Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates doch von diesen Manipulationen Kenntnis hatten, wird die Staatsanwaltschaft entsprechende Ermittlungen aufnehmen müssen.
Die Kernaufgabe des Aufsichtsrates ist die Überwachung der Geschäftsführung. Ein Aufsichtsratsmitglied, welches von einer Pflichtverletzung der Geschäftsführung erfährt, aber nicht entsprechend seiner Kontrollpflicht handelt, kann sich strafbar machen. Für die Aufnahme entsprechender Ermittlungen reicht ein Anfangsverdacht. Auch Ermittlungen gegen Unschuldige sind dabei nicht ausgeschlossen.
Das Szenario ist keineswegs abwegig. VW USA-Chef Horn hat zwischenzeitlich erklärt, er habe seit 2014 von den Ermittlungen der US-Behörden gewusst. Es ist eigentlich davon auszugehen, dass dieses Wissen auch die Konzernspitze in Wolfsburg und vielleicht auch Mitglieder des Aufsichtsrates erreicht hat. Wer dann wie gehandelt oder nicht gehandelt hat, wäre aufzuklären.
Entsprechende Ermittlungen müsste die Staatsanwaltschaft Braunschweig führen. Diese untersteht der niedersächsischen Ministerin der Justiz, welche natürlich dem Ministerpräsidenten berichtspflichtig und im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz auch weisungsabhängig ist. Sollte dieser Fall eintreten, müsste umgehend sichergestellt werden, dass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck einsteht, die Landesregierung nehme auf die Ermittlungen Einfluss, um Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates vor diesen Ermittlungen zu schützen. Leider ist auch ein solches Szenario keineswegs abwegig.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Braunschweig in einer Pressemitteilung zunächst erklärt hat, sie habe ein Ermittlungsverfahren gegen Martin Winterkorn aufgenommen, wurde die Öffentlichkeit kurze Zeit später informiert, es handele sich nicht um ein formelles Ermittlungsverfahren, sondern lediglich um ein sogenanntes Vorermittlungsverfahren. Die Tatsache, dass die Pressestelle einer niedersächsischen Staatsanwaltschaft in einer derart hochsensiblen Angelegenheit sprachlich ungenau formuliert, ist für sich genommen schon bedenklich.
Mehr als bedenklich ist aber, dass der Korrektur der Pressemitteilung unbestritten Gespräche zwischen einem hochrangigen Beamten des Justizministeriums mit der Staatsanwaltschaft Braunschweig vorausgegangen sind. Mit diesem Vorgang hat die Landesregierung jedenfalls nicht dazu beigetragen, das Bemühen um Transparenz glaubwürdig darzustellen.
Wer so agiert, leistet Verschwörungstheorien Vorschub und schadet damit dem Ansehen der Politik und des VW-Konzerns. Angesichts der Aufklärungsbemühungen des Ministerpräsidenten und seines Wirtschaftsministers ist es im Übrigen mehr als bedauerlich, dass erneut die niedersächsische Justiz in die öffentliche Kritik geraten ist. Diesmal – ich will das betonen – ohne jedes Zutun der Opposition. Herr Ministerpräsident, die Justizministerin bleibt eine der Achillesfersen Ihres Kabinetts. Um das mal vorsichtig auszudrücken.
Ich komme zu unserem ganz eigenen Spannungsverhältnis: Als Abgeordnete sind wir zur Kontrolle der Landesregierung verpflichtet. Wir müssen feststellen, warum die Kontrolle durch Vorstand und Aufsichtsrat versagt hat. Und wir müssen feststellen, was getan werden muss um eine Wiederholung dieser Geschehnisse zu verhindern. Wir sind aber auch verpflichtet, eines der wichtigsten Unternehmen unseres Landes in Schutz zu nehmen. Und dies gerade auch gegen ungerechtfertigte Kritik aus den eigenen Reihen, insbesondere aus der grünen Mitte dieses Hauses.
Um es deutlich zu sagen: Der Volkswagenkonzern gehört weiter zu den besten Autobauern der Welt. Und nach wie vor ist dieser Konzern beim Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit ganz vorn dabei. Mit dem XL 1 hat der Konzern die erste seriennahe Version eines 1-Liter-Pkw entwickelt. Mit dem E-UP wurde ein E-Mobil kreiert, welches die Fachwelt ausnahmslos als technische Meisterleistung bezeichnet hat. Der weltweit bei der Konzern-Produktion anfallende CO2-Wert wurde 2014 um 23,2 % reduziert, der Konzernenergieverbrauch um 18,5 % verringert. VW-Automobile gehören zu den schadstoff- und verbrauchsärmsten der Welt.
Wie haben Sie es, Herr Ministerpräsident, formuliert: „Die modernen Produkte von Volkswagen sind gerade in ökologischer Hinsicht von einer hohen Qualität gekennzeichnet“: Sehr richtig. Wir wissen das. Aber weiß das auch Ihr Koalitionspartner?
Sie, Frau Kollegin Westphely, forderten in der letzten Woche den Umbau des Unternehmens, „einen Strategiewechsel in Richtung mehr Umweltschutz“. Als ob das nicht längst der Strategie des Konzerns entsprechen würde.
Wäre dem nicht so, müssten sich doch der Ministerpräsident und sein Wirtschaftsminister fragen lassen, was sie im Aufsichtsrat in dieser Hinsicht getan haben. Entgegen der Realität erwecken nun aber Niedersachsens Grüne den Eindruck, als würde man hier in Niedersachsen wahre Dreckschleudern auf den Markt bringen, die, so Umweltminister Wenzel, am besten aus den Umweltzonen unserer Städte verbannt werden müssten. Den Verlust von Arbeitsplätzen nehmen Sie dabei billigend in Kauf.
Und das ohne die die geringste Sachkenntnis. Ich will das einmal am Beispiel des US-Marktes deutlich machen. Bereits im Herbst 2011 sind einige Mitglieder dieses Hauses mit dem damaligen Wirtschaftsminister Bode in die USA gereist, um sich unter anderem über das US-Geschäft des VW-Konzerns zu informieren. Die Grünen waren leider nicht dabei, weil der grüne Mandatsträger im Gegensatz zur grünen Basis umweltbelastende Flugreisen meidet.
Schon auf der ökologisch korrekten Busfahrt von Atlanta nach Chattanooga fiel den Teilnehmern dieser Delegation eines auf: Die Straßen waren voll von riesigen Pick-Up-Trucks und ebenso großen SUVs. Jedes Dritte in den USA verkaufte Fahrzeug gehört zu dieser Fahrzeugklasse. Motorisiert bis zu 400 PS verbrauchen diese so beliebten Fahrzeuge etwa bis zu 20 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometern. VW war und ist in dieser Sparte des amerikanischen Marktes mit keinem Fahrzeugtyp vertreten.
Natürlich haben wir anschließend den damaligen VW US-Chef Browning gefragt, warum sich VW dieses Geschäft entgehen lässt. Die Antwort war sehr direkt: Das entspräche nicht der Konzernphilosophie. Man setze lieber auf verbrauchsfreundliche Fahrzeuge. Und deshalb hat der Konzern in den USA immer wieder verbrauchsarme Fahrzeuge präsentiert und auch auf den Diesel gesetzt. Sie, Herr Ministerpräsident, haben diese Aussage bestätigt, indem Sie darauf hingewiesen haben, dass der fragliche Dieselmotor bewusst als „ökologisches und grünes Produkt“ positioniert werden sollte. Dass nun seitens Ihres Koalitionspartners der Eindruck erweckt wird, VW habe die grundsätzlich falsche Strategie gefahren und müsse jetzt umsteuern, sollte Ihnen da wirklich saurer aufstoßen.
Ja es ist richtig: Als Folge einer Politik, die immer höhere Umweltmaßstäbe setzt, haben einige versucht, ein gutes Produkt im Hinblick auf seine Abgaswerte besser erscheinen zu lassen als es ist. Und ja, dieses Verhalten war kriminell und ist durch keine Entschuldigung zu rechtfertigen. Ja, es ist richtig: Offensichtlich ist bei Dieselmotoren eine technische Grenze erreicht, die es nicht erlaubt, die Abgaswerte mit vertretbarem Aufwand noch weiter zu reduzieren. Ja, es ist richtig: Langfristig gehört wohl dem E-Mobil die Zukunft.
Aber ungeachtet dessen: VW steht weiter an der Spitze. Und das nicht nur bei Technik und Ökologie. Der VW-Konzern hat in seiner Geschichte Maßstäbe in allen Bereichen gesetzt. Dies auch beim Zusammenspiel von Arbeit und Kapital. In diesem Konzern arbeiten fleißige Menschen, die dafür zu recht gut bezahlt werden. VW ist eine Erfolgsgeschichte, Teil der niedersächsischen Geschichte. Ganz Niedersachsen hat über Jahrzehnte von diesem Konzern und seinen Menschen profitiert. Es ist an der Zeit, etwas von dem, was wir erhalten haben zurückzugeben. Zu aller erst unsere Solidarität. Aber auch Mut und Zuversicht. Ich bin sicher: Wenn alle anpacken, wird die Erfolgsgeschichte weitergehen. Zum Wohle des Konzerns, seiner Menschen und unseres Landes.