Rede des CDU-Fraktionsvorsitzenden Björn Thümler Erwiderung auf die Regierungserklärung „Für eine tolerante und weltoffene Gesellschaft in Niedersachsen“
– Es gilt das gesprochene Wort! –
In der vorletzten Woche wurde Frankreich von mehreren brutalen terroristischen Anschlägen erschüttert.
Insgesamt fielen der dreitägigen Anschlagsserie 17 Menschen zum Opfer. Darunter auch vier Männer und Frauen jüdischen Glaubens, die den Anschlag auf einen Supermarkt in Paris nicht überlebten. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten der gesamten französischen Bevölkerung.
In der Bewertung und Verurteilung dieser menschenverachtenden Tat sind wir uns fraktionsübergreifend einig: Es war ein feiger, hinterhältiger Angriff auf die Freiheit des Wortes und des Bildes, für den es keinerlei Rechtfertigung gibt!
In den Tagen danach gab es kraftvolle Signale der Solidarität und des Zusammenhalts. Menschen überall auf der Welt haben bei zahllosen Friedensgebeten, Mahnwachen und Großdemonstrationen eine ebenso entschiedene wie unmissverständliche Antwort auf diesen feigen Terrorakt islamistischer Gruppen gegeben.
Das ist gut. Das ist wichtig und das ist richtig. Der Trauer und Empörung mit Worten Ausdruck zu verleihen, wird auf Dauer jedoch nicht ausreichen!
Organisationen wie Boko Haram (= „Westliche Bildung ist Sünde“), IS (= „Islamischer Staat“), Al Kaida (= „Basis/Fundament des Dschihad“) sind bestens vernetzte, islamistische Terrornetzwerke mit einem klaren Feindbild: nämlich der aus ihrer Sicht dekadenten, korrupten, moralisch und geistig verlotterten westliche Gesellschaft, die es zu bekämpfen gilt.
Es ist jedoch wichtig, klar zu unterscheiden zwischen Islam und Islamisten, zwischen Muslimen und muslimischen Terroristen.
Und deshalb gebe ich Bundeskanzlerin Angela Merkel Recht, wenn sie erklärt, dass die Muslime zu Deutschland gehören. Ja, die Muslime gehören zu Deutschland!
Aber Angela Merkel hat am Donnerstag im Deutschen Bundestag ebenso unmissverständlich deutlich gemacht: Deutschland muss die islamistische Gewalt in aller Konsequenz mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen!
Deshalb:
Es ist gut und notwendig, dass zukünftig islamistischen Kämpfern aus Deutschland der Pass zur Ausreise entzogen werden kann!
Es ist gut und notwendig, dass sich Deutschland weiter an der Bekämpfung der Terrormiliz IS und anderer Terrorgruppen weltweit beteiligt!
Vor allem ist es gut und notwendig, dass unsere deutschen Nachrichtendienste ihre Arbeit machen können.
Ich persönlich halte den Informationsaustausch der Dienste auch über Ländergrenzen hinweg für unverzichtbar!
Und ich gebe Wolfgang Schäuble Recht, der letzte Woche gesagt hat:
„Wenn wir Polizei, Verfassungsschutz und Nachrichtendienste zu den letzten Trotteln machen, vor denen wir immer nur Angst haben müssen, dass sie unsere Rechte untergraben, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sie uns im Zweifel nicht so schützen können, wie sie uns schützen müssen, damit unsere Freiheit wirklich gewährleistet ist.“.
Deshalb, Herr Weil:
Ihr Lob für die Sicherheitsbehörden wäre glaubwürdiger, wenn Sie verhindert hätten, dass Ihr Innenminister schon kurz nach seinem Amtsantritt versucht hat, sich auf Kosten des Verfassungsschutzes zu profilieren!
Es ist in den vergangenen Tagen vielfach die Sorge geäußert worden, dass als Folge der Anschläge von Paris auch in Deutschland eine neue tiefe gesellschaftliche Spaltung, ja ein neuer Kulturkampf drohen könnte.
Ich rate in diesem Punkt zu mehr Gelassenheit! Nie gab es in Deutschland und Niedersachsen ein solches Maß an Freiheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Weltoffenheit und Neugier auf die Welt wie heute.
Niedersachsen war in der Vergangenheit ein weltoffenes und tolerantes Land. Und daran darf sich auch durch die Anschläge von Paris nichts ändern!
Wer Angst vor Fremden hat, grenzt unwillkürlich aus. Dazu besteht kein Anlass. Aber wer in unser Land kommt, muss unsere Gesetze und unsere Kultur akzeptieren und respektieren!
Wir müssen uns bestimmter Gefahren bewusst sein. Und wir wissen ebenso, dass es hundertprozentige Sicherheit niemals geben kann.
Das heißt aber nicht, dass wir im Bund wie auch in Niedersachsen nicht kritisch hinterfragen, ob und wie unsere Sicherheitsbehörden für Anschläge vergleichbarer Art gerüstet sind.
Vor diesem Hintergrund muss auch die Frage erlaubt sein, ob es klug sein kann, die vom Niedersächsischen Verfassungsschutz gespeicherten 1.400 Datensätze von Personen mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund einfach so zu löschen, wie Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, es vorhatten!
Mit Blick auf die jüngsten Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Mitglieder einer mutmaßlichen Terrorzelle in Wolfsburg stellen wir uns eine weitere Frage, sehr geehrter Herr Innenminister:
Was bloß hat Sie dazu motiviert, am vergangenen Donnerstag eine Pressekonferenz zu geben mit der Ansage, es gäbe keine Verhaftung, wenn nur 120 Minuten später der besagte Syrien-Rückkehrer verhaftet wird?
Dieses unsägliche Wirrwarr hat dazu beigetragen, dass sich die Öffentlichkeit in die Irre geführt fühlte.
Herr Weil, Herr Pistorius!
Mehr Klarheit hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht mit Blick auf eine neue Gesetzesinitiative zur Vorratsdatenspeicherung: Gerade jetzt nach den schrecklichen Anschlägen von Paris sollten wir nicht zögern, bewährte Strategien zur Bekämpfung von Terror wie die französische Vorratsdatenspeicherung zu übernehmen.
Der Erfolg der anlasslosen Speicherung aller Verbindungsdaten ist nach Auffassung aller ernstzunehmenden Sicherheitsexperten nicht von der Hand zu weisen. Die schnellen Fahndungserfolge in Frankreich sprechen für sich!
Herr Weil!
Letztlich werden Sie und Ihre Landesregierung um die Beantwortung einer grundsätzlichen Frage nicht herumkommen: Nämlich was am Ende die Freiheit stärker einschränkt: die Arbeit handlungsfähiger Ermittlungsbehörden oder wachsender Extremismus und Gewalt?
Wir Christdemokraten haben dazu eine klare und unmissverständliche Position: Für uns ist Freiheit ohne Sicherheit schlicht nicht denkbar!
Der Ministerpräsident hat in seiner Rede mehrfach das Leitbild einer toleranten Gesellschaft beschworen. Die Frage ist aber: Wie weit darf die Toleranz einer offenen Gesellschaft gehen?
Meiner Ansicht nach endet Toleranz gegenüber anderen weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen dort, wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Staates in Frage gestellt wird, wo Familienclans Gerichte umstellen und Polizeistationen oder Krankenhäuser stürmen. Im Übrigen gilt bei uns das Grundgesetz und nicht die Scharia!
Die ganz überwiegende Zahl der Muslime in Deutschland sind rechtschaffene und verfassungstreue Bürger. Daran besteht kein Zweifel. Das hat auch die Bundeskanzlerin in ihre Rede vor dem Deutschen Bundestag am Donnerstag zu Recht betont – und auch ich bekenne deutlich: Die Muslime gehören zu Deutschland!
Angela Merkel hat in ihrer Rede zugleich die Islam-Gelehrten zu einer klaren Abgrenzung zwischen Islam und islamistischem Terror aufgefordert.
Die Frage, warum sich Mörder bei ihren Taten auf den Islam berufen, ist berechtigt. Man kann dieser Debatte nicht einfach ausweichen und entsprechende Wortmeldungen als islamfeindlich oder gar rechtsradikal abtun.
In diesem Zusammenhang zitiere ich Ernst Hillebrand, den Leiter des Referats Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.
„Die bittere Wahrheit ist, dass die europäische Linke viel zu lange die islamistische Gewalt banalisiert hat. Gefangen in einem werterelativierenden Multikulturalismus hat sie passiv zugesehen, wie an den Rändern der Zuwanderungsgesellschaften Westeuropas ein Klima des antiwestlichen Hasses heranwuchs.“
Hillbebrand hat Recht und Sie müssen darauf eine Antwort geben. Und die Antwort kann nicht im Wegducken bestehen!
Herr Weil!
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung das Engagement der Bürgerinnen und Bürger gewürdigt, die am vorletzten Montag in Hannover unter dem Motto „bunt statt braun“ gegen Hagida und in den letzten Tagen in Braunschweig, Osnabrück und anderswo auf die Straße gegangen sind.
Genau wie die Bundeskanzlerin bin ich der Ansicht, dass man sich diesen Pegida-Demonstrationen nicht anschließen sollte.
Ich teile aber ebenso die Einschätzung der Bundeskanzlerin und unseres früheren Landtagspräsidenten Jürgen Gansäuer, die beide der Auffassung sind, dass man die Probleme und Sorgen vieler Leute, die bei Pegida und Co. mitlaufen, nicht einfach ignorieren oder sie sogar pauschal als islamfeindlich oder rechtsradikal stigmatisieren darf.
Es gab dazu in der HAZ vor einigen Tagen einen bemerkenswerten Leserbrief des hannoverschen Erziehungswissenschaftlers Prof. Manfred Bönsch, der sich konkret auf die hannoversche Montagsdemonstration bezog. Ich möchte daraus zitieren:
„Freiheit ist zuallererst die Freiheit des Andersdenkenden – doch schöne Sonntagsreden erreichen den Andersdenkenden nicht. Politische Kultur lebt von der argumentativen Auseinandersetzung, nicht von der schnellen Ausgrenzung.“
Professor Bönsch hat Recht!
Wir müssen in den Debatten zur Zuwanderung und zum Islam in Deutschland wieder differenzierter und offener miteinander reden – und nicht alles durch „politische Korrektheit“ zukleistern. Denn das vernebelt dauerhaft den Blick auf die Wirklichkeit!
Wir brauchen dazu eine breite und ehrliche Auseinandersetzung in den Parteien, in den Gewerkschaften und Verbänden, auch in den Kirchen – ohne Schaum vor dem Mund, ohne gegenseitige Vorhaltungen, nach dem Motto: wer ist der bessere Mensch.
Herr Weil!
Ich glaube im Übrigen auch, dass wir in grundlegenden Fragen der Flüchtlings- und Asylpolitik gar nicht weit auseinanderliegen.
Ich habe Ihren Ausführungen beim Epiphanias-Empfang in Loccum aufmerksam zugehört. Ich möchte einige Sätze aus Ihrem Redemanuskript zitieren:
„Unabhängig davon sehe ich uns in der Pflicht, beides gleichermaßen konsequent zu leisten: Menschen in Not Zuflucht und Sicherheit zu geben, andere aber respektvoll und konsequent auch wieder zu veranlassen, Deutschland zu verlassen. […] Den einen schneller gesicherte Perspektiven in Deutschland zu geben und die anderen konsequent zu veranlassen, wieder zurückzugehen, halte ich nicht nur für legitim, sondern auch für notwendig.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass das Grundrecht auf Asyl am Ende denen zu Gute kommt, für die es gemacht ist.“
Herr Weil!
Ob der von Ihnen eben zitierte Rückführungserlass mit Ihrer Aussage in Loccum in Einklang steht, bezweifle ich doch sehr. Und: Wer wie Rot-Grün die Asyl- und Flüchtlingspolitik zu einem Schwerpunkt der Landespolitik erklärt, der muss dafür dann auch ausreichend Geld im Haushalt bereitstellen! Die Mittel für die Sprachförderung sind es jedenfalls nicht! Meinen Sie ernsthaft, dass das Land seiner Verantwortung gegenüber den Kommunen ausreichend nachkommt?
Was wir stattdessen brauchen, sind Anstrengungen, um die vorhandenen gesellschaftlichen Grundlagen in einem neuen klaren Zuwanderungs- oder Einwanderungsgesetz zusammenzufassen. Wir brauchen eine klare Haltung gegenüber Flüchtlingen, die dauerhaft in Deutschland bleiben werden. Und wir müssen für die Asylbewerber ohne Chancen dauerhaft in Deutschland zu bleiben klare Verfahren schaffen – auch in zeitlicher Hinsicht.
Alles in allem brauchen wir ein klares Integrationsgesetz, in dem geregelt wird, was für eine sinnvolle, zielführende Integration notwendig ist, wie vor allem die sprachliche Schulung deutlich verbessert werden kann und in dem Rechte und Pflichten gleichermaßen aufgeführt werden.
Ich komme noch einmal auf den Ausgangspunkt meiner Rede zurück. Wir sind uns einig in der Verurteilung der barbarischen Terrorakte von Paris.
Wir sind uns einig darin, dass wir wachsam sein müssen gegen jede Form des Extremismus. Wir sind uns auch einig darin, dass wir nicht zulassen dürfen, dass sich unsere Gesellschaft spalten lässt.
Worüber wir streiten, das sind die praktischen Konsequenzen, die wir aus den Ereignissen ziehen sollten. Da haben Sie als Regierung eine große Verantwortung.
Für die CDU in Niedersachsen kann ich sagen: Wir stehen in der Tradition von Ernst Albrecht!
Er hat mutig und unbürokratisch gehandelt und Tausende Boat People vor dem sicheren Tod auf dem offenen Meer gerettet. Er hat sich zuerst gefragt, was er für diese Flüchtlinge tun konnte, und nicht zuerst nach dem Bund gerufen. Er hat schlicht eine Unterschrift geleistet – wie es Rupert Neudeck ausdrückte.
Das war ein zutiefst humanitärer Akt, der auch Jahrzehnte später noch Maßstäbe setzt.